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Verfahrensgang

BGH, Beschl. vom 21.10.2004 – IX ZB 53/03, IPRspr 2004-167

Rechtsgebiete

Anerkennung und Vollstreckung → Vermögensrechtliche Angelegenheiten
Anerkennung und Vollstreckung → Verfahren
Freiwillige Gerichtsbarkeit → Notariats- und Urkundenwesen (bis 2019)

Leitsatz

Im Verfahren über die Vollstreckbarerklärung einer ausländischen, nach dortigem Recht vollstreckbaren öffentlichen Urkunde (hier: eines österreichischen Notariatsakts) kann der gemäß Art. 47 Nr. 1 EuGVÜ erforderliche Zustellungsnachweis während des Verfahrens dadurch erbracht werden, dass dem Schuldner eine Ausfertigung des Titels gemeinsam mit dem die Vollstreckbarkeit anordnenden Beschluss zugestellt wird. Die Zustellung kann nach dem Recht des Anerkennungsstaats erfolgen, wenn dessen nationales Recht – wie in diesem Fall die deutschen Vorschriften über die Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung – einen entsprechenden nachträglichen Zustellungsnachweis zulässt.

Rechtsnormen

AVAG § 9; AVAG § 10; AVAG § 15
EuGVÜ Art. 47; EuGVÜ Art. 50
ZPO § 187; ZPO § 189; ZPO § 293; ZPO § 560; ZPO § 574; ZPO § 576; ZPO § 750

Sachverhalt

Die Parteien streiten um die Vollstreckbarerklärung eines österreichischen Notariatsakts. Am 28.6.2000 verpflichtete sich der AGg. vor dem österreichischen Notar Dr. Sch. in W., 5 Mio. öS an den ASt. und dessen Bruder zu bezahlen. Der AGg. unterwarf sich im Notariatsakt wegen dieser Zahlungsverpflichtung der sofortigen Zwangsvollstreckung.

Der ASt. hat am 7.6.2001 für sich und in Vertretung für seinen Bruder beantragt, den Notariatsakt für in Deutschland vollstreckbar zu erklären. Der Notariatsakt ist zuvor nicht zugestellt worden. Das LG hat dem Antrag stattgegeben und die Klauselerteilung angeordnet. Dieser Beschluss ist dem AGg. nebst beglaubigter Abschrift einer Ausfertigung des Schuldtitels am 7.8.2002 in Stuttgart zugestellt worden. Die Beschwerde des AGg. hat das OLG zurückgewiesen. Die hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde hatte keinen Erfolg.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]Die gemäß § 15 I AVAG statthafte Rechtsbeschwerde ist unzulässig, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des BGH erfordert (§ 574 II ZPO).

[2]1. Die Frage, ob und unter welchen Umständen bei einer Notariatsurkunde auf eine nach Art. 50 III, 47 Nr. 1 EuGVÜ erforderliche vorherige Zustellung des Titels verzichtet werden kann, stellt sich im Streitfall nicht. Die erforderliche Zustellung ist hier am 7.8.2002 gemeinsam mit dem die Vollstreckbarkeit anordnenden erstinstanzlichen Beschluss durch das LG erfolgt.

[3]a) Der nach Art. 47 Nr. 1 EuGVÜ erforderliche Nachweis, dass die Entscheidung zugestellt worden ist, kann auch während des Klauselerteilungsverfahrens erbracht werden (EuGH, Urt. vom 14.3.1996 – C-275/94, Slg. 1996, I-1393 Rz. 19). Eine Beschwerde des Schuldners gegen die Klauselerteilung bleibt demnach erfolglos, wenn der Titel dem Schuldner gemeinsam mit dem die Vollstreckbarkeit anordnenden Beschluss zugestellt wird (in diesem Sinne bereits BGH, Beschl. vom 18.9.1997 – IX ZB 79/96, IPRax 1998, 205 (IPRspr. 1997 Nr. 184)). Die Vorschrift des Art. 47 Nr. 1 EuGVÜ soll lediglich sicherstellen, dass dem Schuldner Gelegenheit zur freiwilligen Zahlung gegeben wird (EuGH aaO Rz. 15 f). Dies ist auch bei einer Zustellung während des Klauselerteilungsverfahrens gewährleistet. Ist das Verfahren auf die Beschwerde des Schuldners zum OLG gelangt, stellt sich die Zustellungsfrage nicht mehr; denn gemäß § 10 I AVAG n.F. (§ 9 I AVAG a.F.) muss nach deutschem Recht neben dem die Vollstreckbarkeit aussprechenden Beschluss dem Schuldner auch eine beglaubigte Abschrift von Amts wegen zugestellt werden (vgl. Schlosser, EuGVÜ, 1996, Art. 47 Rz. 6). Dies gilt zumindest dann, wenn der Schuldner über eine angemessene Frist verfügt, um dem Urteil freiwillig nachzukommen, sofern die Partei, die die Vollstreckung beantragt, die Kosten eines etwa unnötigen Verfahrens trägt (EuGH aaO Rz. 19).

[4]Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt. Die Geschäftsstelle des LG hat verfügt, dass die Klausel mit der Ausfertigung des Schuldtitels zu verbinden und dem Schuldner eine beglaubigte Abschrift der mit der Ausfertigung des Schuldtitels verbundenen Klausel zuzustellen ist. Nachdem der BGH die Parteien auf diesen Umstand hingewiesen hat, hat der AGg. bestätigt, ihm sei der Titel gemeinsam mit dem LG-Beschluss zugestellt worden. Die Zustellung ist durch die bei den Akten befindliche Zustellungsurkunde nachgewiesen. Schließlich hat das BeschwG unangegriffen festgestellt, dass die Zustellung des erstinstanzlichen Beschlusses wirksam ist, weil der Beschwf. zum maßgeblichen Zeitpunkt einen Wohnsitz in Stuttgart an der Zustelladresse hatte. Der Schuldner hat auch ausreichend Zeit gehabt, um der im Notariatsakt titulierten Forderung freiwillig nachzukommen; zwischen der Zustellung des Titels und der Entscheidung über die Beschwerde gegen die Klauselerteilung liegen fast sechs Monate. Da der Schuldner diese Frist nicht genutzt hat, kommt es auf die weitere Frage, ob dem ASt. die Kosten eines unnötigen Verfahrens aufgebürdet werden könnten, nicht an.

[5]b) Eine während des Klauselerteilungsverfahrens im Hinblick auf Art. 47 Nr. 1 EuGVÜ durchgeführte Zustellung kann sowohl nach dem Recht des Urteilsstaats als auch nach dem Recht des Staats erfolgen, in dem die Vollstreckbarkeit des Titels beantragt wird (Geimer-Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 2. Aufl., Art. 53 Rz. 13; Schlosser Rz. 4). Auch der EuGH sieht es als ausreichend an, dass die Zustellung nur nach dem Recht des Anerkennungsstaats durchgeführt worden ist, sofern das nationale Recht einen entsprechenden nachträglichen Zustellungsnachweis zulässt (vgl. EuGH, Urt. vom 14.3.1996 aaO Rz. 6, 16 ff). Im deutschen Recht ist dies der Fall (vgl. § 750 I ZPO), zumal es eine Heilung von Zustellungsmängeln erlaubt (§ 189 ZPO n.F.; § 187 ZPO a.F.).

[6]2. Auch zur Frage, ob der österreichische Notariatsakt eine vollstreckbare Urkunde im Sinne von Art. 50 EuGVÜ darstellt, sind die prozessrechtlichen Voraussetzungen für eine Entscheidung des BGH (§ 574 II ZPO) nicht gegeben. Welche Voraussetzungen eine Urkunde erfüllen muss, damit sie als vollstreckbar anzusehen ist, richtet sich nach dem Recht des Errichtungsstaats (h.M.; vgl. Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht, 6. Aufl., Art. 50 Rz. 3, 5). Das BeschwG hat festgestellt, dass ein Notariatsakt nach österreichischem Recht bereits als solcher vollstreckbar ist. Die Exekutionsbewilligung gehöre zum österreichischen Zwangsvollstreckungsverfahren. Diese Würdigung des österreichischen Rechts ist für das Rechtsbeschwerdegericht bindend (§§ 576, 560, 293 ZPO). Die Rechtsbeschwerde erhebt im Hinblick auf die Feststellung des österreichischen Rechts keine Rügen.

Fundstellen

nur Leitsatz

Europ. Leg. Forum, 2005, I-78, (II-77)

LS und Gründe

InVo, 2005, 203
NJW-RR, 2005, 295

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2004-167

Lizenz

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