Wechselt der gewöhnliche Aufenthalt des die deutsche Staatsangehörigkeit besitzenden Betroffenen während des Betreuungsverfahrens von Deutschland in einen Nichtvertragsstaat des Haager Erwachsenenschutzübereinkommens, ergibt sich die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte jedenfalls aus § 104 FamFG.
Auch nach dem Aufenthaltswechsel findet in diesem Fall auf die Anordnung der Betreuung deutsches Recht als lex fori Anwendung. [LS von der Redaktion neu gefasst]
Der 1956 geborene Betroffene leidet an einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis. Er erteilte mehrere Vollmachten, unter anderem am 2. September 2004 eine Generalvollmacht zugunsten seiner Ehefrau (Beteiligte zu 4). Weitere Vorsorgevollmachten erteilte er in den Jahren 2018 und 2019, u.a. dem Beteiligten zu 8 und wiederum seiner Ehefrau. Der Betroffene verfügt nach den Feststellungen der Vorinstanzen über ein Vermögen von „geschätzt ... €“.
Mit Beschluss vom 22. Juni 2021 hat das Amtsgericht Fulda nach Einholung eines Sachverständigengutachtens, Bestellung eines Verfahrenspflegers (Beteiligter zu 7) und Anhörung des Betroffenen eine Betreuung mit umfassendem Aufgabenkreis sowie einen Einwilligungsvorbehalt hinsichtlich der Vermögenssorge angeordnet und Rechtsanwältin M. (Beteiligte zu 6) zur Berufsbetreuerin bestellt. Die Vollmacht vom 2. September 2004 hat es wegen seinerzeitiger Geschäftsunfähigkeit des Betroffenen als unwirksam angesehen. Die weiteren Vollmachten stünden der Erforderlichkeit der Betreuung wegen fehlender Eignung der Bevollmächtigten nicht entgegen. Gegen diesen Beschluss haben der durch einen Verfahrensbevollmächtigten vertretene Betroffene und seine Ehefrau Beschwerden eingelegt. Im November 2022 zog der Betroffene nach Dresden. Mit Beschluss vom 25. November 2022 hat das Amtsgericht Fulda im Wege der einstweiligen Anordnung die bisherige Betreuerin „vorläufig“ entlassen und Herrn T. zum vorläufigen Betreuer bestellt. Das Amtsgericht Dresden ist vom Oberlandesgericht Frankfurt zum für das Betreuungsverfahren zuständigen Gericht bestimmt worden. Mit Schreiben vom 21. März 2023 teilte der Betreuer den Umzug des Betroffenen in eine Seniorenpension in L./Tschechien mit. Nachdem der Betroffene seinen Aufenthalt in diesem Seniorenheim nach weniger als drei Wochen beenden musste, wechselte er Ende März/Anfang April 2023 in ein Heim in S. W./Polen. Mit Beschluss vom 24. Mai 2023 hat das Amtsgericht Dresden im Wege der einstweiligen Anordnung die Entlassung des vorläufigen Betreuers ausgesprochen, die „vorläufige Entlassung“ der ehemaligen Betreuerin M. bis zum 24. November 2023 „verlängert“ und zur vorläufigen Betreuerin die zuständige Betreuungsbehörde bestellt. Die Ehefrau ist zur vorläufigen Betreuerin - im Wesentlichen für Fragen der Gesundheitssorge und des Heimaufenthalts in Polen - bestellt worden. Die einstweilige Anordnung ist bis zum 24. November 2023 befristet worden. Mit Beschluss vom 1. März 2024 hat das Landgericht den Beschluss des Amtsgerichts Fulda vom 22. Juni 2021 aufgehoben und das Betreuungsverfahren eingestellt. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Verfahrenspflegers.
II.
[8] Die nach § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FamFG kraft Gesetzes statthafte Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, soweit mit dieser der Beschluss des Amtsgerichts Fulda vom 22. Juni 2021 aufgehoben und das Betreuungsverfahren eingestellt worden ist, und insoweit zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.
[9] 1. ... [14] 2. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
[15] a) Das Beschwerdegericht ist zutreffend von der internationalen Zuständigkeit der deutschen Gerichte ausgegangen. Dass der Betroffene sich nicht mehr in Deutschland aufhält, hat nicht zum Wegfall der internationalen Zuständigkeit geführt.
[16] aa) Die internationale Zuständigkeit richtet sich vorrangig nach Art. 5 Abs. 1 des Haager Übereinkommens vom 13. Januar 2000 über den internationalen Schutz von Erwachsenen (Erwachsenenschutzübereinkommen - ErwSÜ; BGBl. 2007 II S. 323). Danach sind die Gerichte oder Verwaltungsbehörden des Vertragsstaats, in dem der Erwachsene seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, zuständig, Maßnahmen zum Schutz der Person oder des Vermögens des Erwachsenen zu treffen. Nach Art. 5 Abs. 2 ErwSÜ sind bei einem Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts des Erwachsenen in einen anderen Vertragsstaat die Behörden des Staates des neuen gewöhnlichen Aufenthalts zuständig. Das gilt indessen nicht, wenn der gewöhnliche Aufenthalt des Erwachsenen in einen Nichtvertragsstaat wechselt. In diesem Fall entfällt mangels gewöhnlichen Aufenthalts in einem Vertragsstaat die Zuständigkeit nach Art. 5 Abs. 1 ErwSÜ. Einen Fortbestand der einmal eröffneten internationalen Zuständigkeit bei Wegfall ihrer Voraussetzungen nach Anhängigkeit (perpetuatio fori) sieht das Erwachsenenschutzübereinkommen nicht vor (vgl. Staudinger/von Hein BGB [2022] Art. 5 ErwSÜ Rn. 8).
[17] Die Frage, ob bei nicht bestehender Zuständigkeit nach Art. 5 ErwSÜ die Regelung des Art. 7 ErwSÜ Anwendung findet, der die Zuständigkeit der Gerichte des Heimatstaates eröffnet, ist umstritten. Sie wird von der im Schrifttum wohl überwiegenden Ansicht verneint (von Hein BtPrax 2024, 193; NK-BGB/Benicke 4. Aufl. Art. 5 ESÜ Rn. 7, 14; Helms FamRZ 2008, 1995, 1998; aA MünchKommBGB/Lipp 9. Aufl. Vor Art. 5 ErwSÜ Rn. 9 ff. mwN; Hausmann Internationales und Europäisches Familienrecht 3. Aufl. J. Betreuungssachen Rn. 71). Dies kann indessen offenbleiben, wenn das ersatzweise anwendbare nationale Verfahrensrecht eine entsprechende Zuständigkeit vorsieht, wie es in der vorliegenden Fallkonstellation mit § 104 FamFG gegeben ist. Dann ersetzt der nach nationalem Verfahrensrecht gegebene Zuständigkeitsgrund der Staatsangehörigkeit die weggefallene Aufenthaltszuständigkeit nach Art. 5 Abs. 1 ErwSÜ (vgl. Lipp in Budzikiewicz/Heiderhoff/Klinkhammer/Niethammer-Jürgens Vorsorge und Verantwortung im Internationalen Familienrecht [2023] S. 103, 111 f.).
[18] bb) Nach diesen Grundsätzen sind die deutschen Gerichte im vorliegenden Fall weiterhin international zuständig.
[19] Der zunächst erfolgte Wechsel des Betroffenen nach Tschechien hat nicht zu einer Änderung der internationalen Zuständigkeit geführt. Zwar ist die Tschechische Republik Vertragsstaat des Haager Erwachsenenschutzübereinkommens. Weil der Betroffene sich in dem Heim in Tschechien aber nur wenige Wochen aufhielt und sein Aufenthalt alsdann nach Polen wechselte, war jedenfalls unter den Umständen des vorliegenden Falles kein (zwischenzeitlicher) gewöhnlicher Aufenthalt in Tschechien begründet worden.
[20] Zu einem Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts kann daher nur der Umzug nach Polen geführt haben, wo der Betroffene sich seit Ende März/Anfang April 2023 befindet. Da die Republik Polen indes nicht Vertragsstaat des Haager Erwachsenenschutzübereinkommens ist, kann ein - hier unterstellter - Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts die internationale Zuständigkeit der polnischen Gerichte nach Art. 5 Abs. 2 ErwSÜ nicht begründet haben. Weil das Erwachsenenschutzübereinkommen insoweit keine nach § 97 Abs. 1 Satz 1 FamFG vorrangige Regelung getroffen hat, ist das deutsche Verfahrensrecht anzuwenden. Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte ist hier nach § 104 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 FamFG bereits aufgrund der deutschen Staatsangehörigkeit des Betroffenen gegeben (vgl. von Hein BtPrax 2024, 193).
[21] b) Die angefochtene Entscheidung hat keinen Bestand.
[22] aa) Auf den vorliegenden Fall ist in der Sache deutsches Recht anwendbar. Dies gilt wiederum unabhängig von der Frage, ob sich die internationale Zuständigkeit aus Art. 7 ErwSÜ oder aus § 104 FamFG ergibt. Denn im ersten Fall haben die zuständigen Behörden nach Art. 13 Abs. 1 ErwSÜ ihr eigenes Recht (lex fori) anzuwenden. Auch im zweiten Fall ist deutsches Recht anzuwenden. Nach Art. 24 Abs. 2 Satz 1 EGBGB in der seit 1. Januar 2023 geltenden Fassung unterliegen Maßnahmen, die im Inland in Bezug auf ein Fürsorgeverhältnis angeordnet werden, deutschem Recht.
[23] Da sich der Betroffene erst seit Ende März/Anfang April 2023 in S. W./Polen aufhält und ein Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts nach Polen also frühestens im Jahr 2023 stattgefunden haben kann, ist mithin in jedem Fall deutsches Recht anwendbar (vgl. von Hein BtPrax 2024, 193, 194 auch zum auf die Vorsorgevollmacht anwendbaren Recht).
[24] bb) ...