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Verfahrensgang

OLG Celle, Beschl. vom 21.11.2024 – 20 AR 13/24, IPRspr 2024-303

Rechtsgebiete

Zuständigkeit → Allgemeiner Gerichtsstand
Zuständigkeit → Sonstige besondere Gerichtsstände

Leitsatz

Im Rahmen einer Gerichtsstandsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO kann regelmäßig nur ein Gericht als zuständig bestimmt werden, bei dem einer der Streitgenossen seinen allgemeinen Gerichtsstand hat; von diesem Grundsatz kann abgewichen werden, wenn sachlich vorrangige Gründe dies rechtfertigen (Anschluss BGH, Beschluss vom 21. August 2008 – X ARZ 105/08, – juris Rn. 11).

Derartige sachlich vorrangige Gründe sind nicht gegeben, wenn ein im Ausland ansässiger Zessionar ihm abgetretene Ansprüche mehrerer inländischer Teilnehmer an Online-​Glücksspielen und Online-​Sportwetten gegen deren ebenfalls im Ausland ansässigen Veranstalter vor dem für den Wohnort eines der Teilnehmer zuständigen Gerichts geltend machen will. [LS von der Redaktion neu gefasst]

Rechtsnormen

EMRK Art. 6
GG Art. 2; GG Art. 19; GG Art. 20
ZPO § 12; ZPO § 13; ZPO § 17; ZPO § 36

Sachverhalt

Die Antragstellerin, eine Aktiengesellschaft schweizerischen Rechts, beabsichtigt, die Antragsgegnerinnen, zwei maltesische Gesellschaften mit Sitz auf Malta, als Streitgenossinnen aus abgetretenem Recht auf Rückzahlung von Einsätzen in Anspruch zu nehmen, die fünf Teilnehmer bei durch die Antragsgegnerinnen veranstalteten Online-​Glücksspielen (sog. Casino-​Spiele im Falle der Antragsgegnerin zu 1 und Sportwetten im Falle der Antragsgegnerin zu 2) verloren haben. Die Teilnehmer (im Folgenden: Zedenten), die ihre Ansprüche nach deren Vortrag an die Klägerin abgetreten haben, haben ihre Wohnsitze, von denen aus nach Darstellung der Klägerin die Teilnahme an den Online-​Glücksspielen jeweils erfolgte, in den Bezirken der Landgerichte H., B. und L.. Die Klägerin meint, die Ansprüche jedes einzelnen Zedenten könnten gemäß Art. 7 EuGVVO in Deutschland vor dem für dessen jeweiligen Wohnsitz zuständigen Landgericht geltend gemacht werden. Da es für die gemeinsame Geltendmachung der abgetretenen Ansprüche jedoch an einem einheitlichen Wohnsitzgericht und damit an einem gemeinsamen besonderen Gerichtsstand fehle und der allgemeine Gerichtsstand der Antragsgegnerinnen im Ausland liege, habe eine Bestimmung des zuständigen Gerichts entsprechend § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO zu erfolgen.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]II.

[2]Der Antrag gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO war zurückzuweisen, weil die Voraussetzungen der Norm nicht vorliegen. Einer Gerichtsstandsbestimmung steht zwar nicht entgegen, dass die Vorschrift nach ihrem Wortlaut lediglich Fälle der passiven Streitgenossenschaft erfasst (dazu sogleich unter Ziff. 1). Doch kann die Bestimmung eines gemeinsamen Gerichtsstandes nicht erfolgen, weil die Antragstellerin die Bestimmung eines gemeinsamen besonderen Gerichtsstandes begehrt, die im Streitfall nicht in Betracht kommt (dazu unten unter Ziff. 2 und 3). Da die Voraussetzungen für die Bestimmung eines gemeinsamen Gerichtsstandes nicht vorliegen, bedarf es keiner Entscheidung über die internationale Zuständigkeit deutscher Gericht für die Einzelansprüche der Zedenten (unten unter Ziff. 4).

[3]Im Einzelnen:

[4]1.) ... a) ... b) ... 2.) ... 3.) ... Im Hinblick auf das weitere Vorbringen der Antragstellerin bemerkt der Senat ergänzend:

[5]a) Soweit die Antragstellerin meint, die Bestimmung eines gemeinsamen besonderen Gerichtsstands sei im Streitfall schon deshalb geboten, weil die Antragsgegnerinnen ihren allgemeinen Gerichtsstand im Ausland haben (vgl. Schriftsatz vom 24. Oktober 2024, dort S. 4, Bl. 760 d.A.), folgt der Senat dem nicht. Entsprechendes ergibt sich auch nicht aus den von der Antragstellerin diesbezüglich angeführten höchstrichterlichen Entscheidungen (vgl. BGH NJW-​RR 2013, 1399 (IPRspr 2013-203b); NJW 1988, 646 (IPRspr. 1987 Nr. 124); NJW 1971, 196). Die diesen Entscheidungen zugrunde liegenden Sachverhalte waren jeweils dadurch gekennzeichnet, dass mindestens einer der dortigen Streitgenossen seinen allgemeinen Gerichtsstand in Deutschland hatte. Ihnen liegt – wie die Antragstellerin selbst vorträgt – die Erwägung zugrunde, dass eine Partei nicht zu einer Klage im Ausland gezwungen werden soll, wenn die Beklagten im Inland verschiedene allgemeine Gerichtsstände haben (vgl. Stein/Roth, ZPO, 24. Aufl. 2024, § 36 Rn. 46 m.w.N.). Das ist auf die vorliegende Sachverhaltskonstellation schon deshalb nicht übertragbar, weil es für die Geltendmachung der der Antragstellerin zedierten Ansprüche ihrem eigenen Vorbringen nach nicht an der Eröffnung eines inländischen Gerichtsstandes (den sie gerade für gegeben erachtet) fehlt, sondern es vielmehr nur darum geht, ob ein gemeinsamer besonderer Gerichtsstand für die gemeinsame Geltendmachung der Ansprüche verschiedener Zedenten bestimmt werden kann. Für die Entscheidung dieser Frage aber kommt dem Auslandsbezug keine entscheidende Bedeutung zu, weil die Antragstellerin ihrer eigenen Auffassung nach auch bei Unterbleiben der Bestimmung eines gemeinsamen Gerichtsstandes nicht zur Klage im Ausland gezwungen wird, sondern – wie das Oberlandesgericht Köln zutreffend ausführt – ihr der aus ihrer Sicht möglicherweise bestehende besondere Gerichtsstand am jeweiligen inländischen Wohnsitz der Zedenten eine individuelle Rechtsverfolgung am dortigen Gericht ermöglichen würde (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 20. Oktober 2023 – 8 AR 15/23 –, Anlage AG 1, dort S. 4, Bl. 717 d.A.). Aus demselben Grund kommt es auch auf die Ausführungen der Antragstellerin zur vermeintlich eingeschränkten Klagemöglichkeit in Malta nicht an.

[6]b) Einer derartigen individuellen Rechtsverfolgung stehen auch keine anderen vorrangigen Zweckmäßigkeitserwägungen entgegen, die die Bestimmung eines gemeinsamen besonderen Gerichtsstandes für die gemeinsame Geltendmachung der der Antragstellerin zedierten Ansprüche ausnahmsweise gebieten würde (entgegen Schriftsatz vom 24. O. 2024, S. 5 f., Bl. 761 f. d.A.). Nach Auffassung des Senats ist das Gegenteil der Fall. So führt die Antragstellerin selbst aus, dass ein Zweckmäßigkeitsgesichtspunkt die Erleichterung der Beweisaufnahme sein kann (Schriftsatz vom 21. O. 2024, S. 7, Bl. 763 d.A.), die die Antragstellerin hier durch die Bestimmung eines einheitlichen Gerichtsstandes in der Nähe zu den Wohnorten der Zedenten erkennen will, um diesen die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung zu ermöglichen und ihre etwaige zeugenschaftliche Vernehmung zu erleichtern. Diese Erwägung trägt jedoch ersichtlich nicht: Die Bestimmung eines gemeinsamen Gerichts würde im Streitfall gerade umgekehrt dazu führen, dass diejenigen Zedenten, deren Wohnsitz-​Gericht nicht als zuständig bestimmt wird, ggf. erhebliche Wege (beispielsweise H.-​L. oder L.-​B.) auf sich nehmen müssten. Das ist das Gegenteil einer Erleichterung.

[7]c) Soweit die Antragstellerin darauf verweist, dass „aus Gründen der Prozessökonomie die Beurteilung des einheitlichen Lebenssachverhalts durch ein gemeinsames Gericht geboten“ sei (Schriftsatz vom 24. O. 2024, S. 8, Bl. 764 d.A.), verfängt auch dies nicht. Denn die Antragstellerin hat sich, wie die zitierte Entscheidung des Oberlandesgerichts Köln zeigt, offenbar eine Vielzahl vermeintlicher Rückzahlungsansprüche durch etliche Internetnutzer in ganz Deutschland abtreten lassen. Aus dem von ihr bemühten Argument würde letztlich die Bündelung sämtlicher dieser Ansprüche vor einem einzigen Gericht folgen. Es liegt auf der Hand, dass das nicht dem Sinn und Zweck der Bestimmung des § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO entspricht. Eine – grundsätzlich zulässige – Bündelung von Ansprüchen kann nicht dazu führen, dass aus der so geschaffenen prozessualen Lage sachlich vorrangige Gründe für eine Gerichtsstandsbestimmung beim besonderen Gerichtsstand abgeleitet werden könnten (ebenso OLG Köln, Beschluss vom 20. Oktober 20238 AR 15/23, Anlage AG 1, Bl. 714 ff.). Anderenfalls könnte die Antragstellerin allein durch die (zufällige) Bündelung von Ansprüchen eine vom allgemeinen Gerichtstand abweichende (besondere) Zuständigkeit erreichen, was aber dem Wortlaut der Regelung in § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO und dem gesetzgeberischen Willen, die Zuständigkeitsregelung in §§ 12, 13 und 17 ZPO möglichst einzuhalten, entgegensteht.

[8]d) Eine Bestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO ist auch nicht deshalb geboten, weil einzelne Gerichte – dem eigenen Vorbringen der Antragstellerin nach handelt es sich insoweit um „wenige mit dem Rechtsstreit befasste Gerichte“ (vgl. Schriftsatz vom 24. Oktober 2024, S. 8, Bl. 764 d.A.) – Zweifel am Bestehen eines Gerichtsstandes in Deutschland hinsichtlich der der Antragstellerin von den Internetnutzern zedierten Ansprüche geäußert haben. Denn abgesehen davon, dass zur Frage der internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte bereits etliche obergerichtliche Entscheidungen vorliegen, die die Antragstellerin selbst zitiert, heben die von der Antragstellerin zur Frage der Gerichtsstandsbestimmung angeführten Entscheidungen (OLG Celle, Beschluss vom 4. Juli 201718 AR 7/17 –, juris; KG, Beschluss vom 14. Oktober 2004, BeckRS 2005, 6208) auf die Beseitigung solcher Unsicherheiten ab, die daraus resultieren, dass ein gemeinschaftlicher Gerichtsstand mehrerer Streitgenossen nicht zuverlässig feststellbar ist, während sich die von der Antragstellerin geltend gemachten Unsicherheiten nicht auf das Bestehen oder Nichtbestehen eines gemeinschaftlichen Gerichtsstandes, sondern auf das Bestehen oder Nichtbestehen eines Gerichtsstandes in Deutschland für die individuellen Ansprüche der Zedenten beziehen. Der Klärung diesbezüglicher Zweifel dient die Gerichtsstandsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO aber nicht.

[9]e) Schließlich ist eine Gerichtsstandsbestimmung – entgegen der Ansicht der Antragstellerin – auch nicht deshalb angezeigt, weil es mit dem Justizgewährleistungsanspruch nicht vereinbar wäre, wenn eine gebündelte Geltendmachung von Ansprüchen gegen die Antragsgegnerinnen weder auf Malta noch in Deutschland zulässig wäre. Das u.a. in Art. 20 GG verankerte Rechtsstaatsprinzip und der – aus dem Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit den Grundrechten (insbesondere Art. 2 Abs. 1 GG) abgeleitete – Justizgewährungsanspruch (Art. 19 Abs. 4 GG; Art. 6 Abs. 1 EMRK) gewährleisten den Zugang zu den Gerichten sowie eine verbindliche Entscheidung durch die Richterin bzw. den Richter nach Maßgabe des jeweiligen Prozessrechts aufgrund einer grundsätzlich umfassenden tatsächlichen und rechtlichen Prüfung des Streitgegenstands (vgl. BVerfG, NJW 2024, 956 Rn. 53; NJW 2018, 3699 Rn. 10; Dürig/Herzog/Scholz/Grzeszick, GG, Art. 20 Rn. 135 [Stand: Januar 2024]; jew. m.w.N.). Das wird hier nicht in Frage gestellt. Die Antragstellerin kann entsprechende Individualklagen aus abgetretenem Recht erheben und tut dies auch (vgl. etwa OLG Celle, Beschluss vom 23. Februar 20243 U 81/23, BeckRS 2024, 22353). Eine Bündelung wäre darüber hinaus – so die internationale Zuständigkeit vorläge – beispielsweise im Rahmen einer Verbands- und Abhilfeklage nach dem VDuG möglich.

[10]4.) Kommt nach alldem eine Gerichtsstandsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO nicht in Betracht, kann dahinstehen, ob für die von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte gegeben ist.

[11]III. ...

 

Fundstellen

Volltext

Link, Niedersächsisches Vorschrifteninformationssystem (NI-VORIS)

LS und Gründe

NJW-RR, 2025, 316

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2024-303

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