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Verfahrensgang

AG Ahlen, vom 19.11.2024 – 40 F 234/21, IPRspr 2024-304

Rechtsgebiete

Ehe und andere familienrechtliche Lebens- und Risikogemeinschaften → Eingehung, Wirksamkeit
Ehe und andere familienrechtliche Lebens- und Risikogemeinschaften → Güterrecht

Leitsatz

Nach Art. 145 Nr. 2 des türkischen ZGB ist eine Ehe absolut ungültig, wenn einer der Ehegatten zum Zeitpunkt der Eheschließung aus dauerhaftem Grund nicht urteilsfähig ist. Das Vorliegen der Urteilsfähigkeit wird jedoch vermutet. Nach Art. 145 Nr. 3 des türkischen ZGB kommt eine absolute Ungültigkeit einer Ehe auch in Betracht, wenn einer der Ehegatten eine Geisteskrankheit hat, welche die Eheschließung verhindert. Hierbei genügt nicht jede Form der Geisteskrankheit, sondern nur eine solche, welche eine Gefahr für die Gesundheit des anderen Ehegatten und der Nachkommen darstellt. [LS der Redaktion]

Rechtsnormen

4721/2001 ZGB (Türkei) Art. 145; 4721/2001 ZGB (Türkei) Art. 146; 4721/2001 ZGB (Türkei) Art. 147
5718/2007 IPRG (Türkei) Art. 13
BGB §1318
EGBGB Art. 13; EGBGB Art. 17

Sachverhalt

Die am xx.xx.2000 geschlossene Ehe wurde durch die am xx.xx.2019 verkündete Entscheidung des Amtsgerichts A (Türkei) geschieden. Ein Versorgungsausgleich ist bei dem Scheidungsverfahren in der Türkei nicht durchgeführt worden. Die vormaligen Ehegatten sind beide türkische Staatsangehörige und haben während der Ehezeit Anwartschaften in der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung erworben. Bei dem Antragsgegner besteht Trisomie 21. Die Parteien streiten über eine mögliche Beeinträchtigung der Ehefähigkeit des Antragsgegners aufgrund seiner Erkrankung.

Die Antragstellerin begehrt nunmehr die nachträgliche Durchführung des Versorgungsausgleich.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]II.

[2]Der Beschluss beruht auf Art. 17 Abs. 4 S. 2 EGBGB.

[3]Diese Norm setzt den Antrag eines Ehegatten voraus. Ferner müssen die Ehegatten während der Ehezeit Anrechte bei einem inländischen Versorgungsträger erworben haben. Schließlich darf die Durchführung des Versorgungsausgleichs insbesondere im Hinblick auf die beiderseitigen wirtschaftlichen Verhältnisse während der gesamten Ehezeit der Billigkeit nicht widersprechen. Anhaltspunkte, die nach diesen Maßgaben gegen eine Durchführung des beantragten nachträglichen Versorgungsausgleichs sprechen, sind zur Überzeugung des Gerichts weder ersichtlich noch sonst vorgetragen.

[4]1.

[5]Die Antragstellerin hat die nachträgliche Durchführung des Versorgungsausgleichs beantragt und beide Ehegatten haben während der Ehezeit Anrechte bei einem inländischen Versorgungsträger erworben (s. u. 3.).

[6]2.

[7]Zur Überzeugung und nach Auffassung des erkennenden Gerichts widerspricht die Durchführung des Versorgungsausgleichs insbesondere im Hinblick auf die beiderseitigen wirtschaftlichen Verhältnisse während der gesamten Ehezeit auch nicht der Billigkeit. Ebenso wenig stehen - entgegen der Ansicht des Antragsgegners - die Voraussetzungen für die Annahme einer von Anfang an ungültigen Ehe(schließung) bereits fest.

[8]Nach dem eingeholten Rechtsgutachten richtet sich die Frage der von dem Antragsgegner eingewandten absoluten Ungültigkeit der geschlossenen Ehe bzw. seiner nicht ausreichenden Urteilsfähigkeit zur Eingehung der Ehe nach türkischem Recht, Art. 13 EGBGB i. V. m. Art. 13 Abs. 1 türk. IPRG. Die absoluten Ungültigkeitsgründe des türkischen Eherechts können jederzeit mit einer Klage auf Ungültigerklärung der Ehe(schließung) geltend gemacht werden, Art. 146, 147 tZGB. Die gerichtliche Ungültigkeitserklärung führt nicht rückwirkend zur Auflösung der Ehe, sondern mit Gestaltungswirkung für die Zukunft (S. 9/15/17 des Gutachtens vom 22. Dezember 2023).

[9]Nach Art. 145 Nr. 2 tZGB ist die Ehe absolut ungültig, wenn einer der Ehegatten zum Zeitpunkt der Eheschließung aus dauerhaftem Grund nicht urteilsfähig ist. Das Vorliegen der Urteilsfähigkeit wird jedoch vermutet, wobei die Möglichkeit besteht, diese zu widerlegen (S. 12 des Gutachtens vom 22. Dezember 2023). Insoweit obliegt es dem Antragsgegner, ein entsprechendes Klageverfahren zu initiieren, in welchem er die Darlegungs- und Beweislast zur Widerlegung der vermuteten Urteilsfähigkeit tragen würde. Auf den diesbezüglichen Hinweis des Gerichts mit Beschluss vom 19. November 2024 (BI. 312 ff. d.A.) hat der Antragsgegner keine weitere Erklärung abgegeben. Insbesondere hat der Antragsgegner bis zuletzt keinen weiteren Antrag gestellt, welcher auf die Klärung der vorgenannten Fragestellungen gerichtet ist und der einer Entscheidung in diesem Verfahren in der Sache zum gegenwärtigen Zeitpunkt entgegenstehen würde.

[10]Dem erkennenden Gericht erscheint es auf der Grundlage des bisherigen Sach- und Streitstandes überdies zweifelhaft, ob die Voraussetzungen des Art. 145 Nr. 2 tZGB vorliegen. In dem Tenor des Scheidungsbeschlusses des türkischen Familiengerichts heißt es nämlich: "Die Ehe zwischen dem behinderten Antragsteller...", was gegen die Annahme einer nach türkischem Recht bereits als von Anfang an ungültigen Ehe(schließung) sprechen könnte.

[11]Nach Art. 145 Nr. 3 tZGB kommt eine absolute Ungültigkeit der Ehe ferner dann in Betracht, wenn einer der Ehegatten eine Geisteskrankheit hat, welche die Eheschließung verhindert. Auch diese Voraussetzungen stehen entgegen der Ansicht des Antragsgegners zur Überzeugung des Gerichts nicht bereits fest. Im Sinne der vorgenannten Vorschrift genügt nicht jede Form der Geisteskrankheit, sondern nur eine solche, welche die Gefahr für die Gesundheit des anderen Ehegatten und der Nachkommen darstellt (S. 13 des Gutachtens vom 22. Dezember 2023). Es ist gerichtsbekannt, dass Trisomie 21 zu einer geistigen Behinderung führen kann und in diesem Sinne auch für Nachkommen eine Gefahr sein kann. Es bestehen aber Bedenken, eine Gefährdung auch in Bezug auf den anderen Ehegatten (vorliegend: die Antragstellerin) anzunehmen. Die nach der vorstehenden Vorschrift verlangte Und-Verknüpfung dürfte nicht erfüllt sein.

[12]Darüber hinaus hätte eine gerichtliche Feststellung bezüglich der absoluten Ungültigkeitsgründe Gestaltungswirkung hinsichtlich der Auflösung der Ehe nur für die Zukunft. Vor dem Hintergrund des bereits im Januar 2019 durch das türkische Familiengericht erfolgten Ausspruchs der Ehescheidung würde sich im Hinblick auf die für den Versorgungsausgleich maßgebliche Ehezeit - mangels Rückwirkung - daher selbst im Falle einer Feststellung der Ungültigkeit keine Änderung ergeben können. Im Übrigen enthält auch das deutsche Familien(verfahrens)recht in §1318 Abs. 3 BGB keine hiervon abweichende grundlegende andere Wertung und Regelung.

[13]Nach alledem erscheint es unter Berücksichtigung der gesetzlichen und verfahrensrechtlichen Regelungen im türkischen Eherecht (Verlangen einer Klage auf Ungültigerklärung der Eheschließung]; Gestaltungswirkung einer solchen Entscheidung nur für die Zukunft; gesetzliche Vermutung der Urteilsfähigkeit der Ehegatten im Zeitpunkt der Eheschließung; absolute Ungültigkeit nur bei einer Geisteskrankheit, welche eine Gefahr für die Gesundheit sowohl von möglichen Nachkommen als auch des anderen Ehegatten bedeutet) billig und gerecht, die während der Ehezeit von den vormaligen Ehegatten bei inländischen Versorgungsträgern erworbenen Anrechte in dem vorliegenden Fall nach der bereits im Jahr 2019 durch das türkische Familiengericht ausgesprochenen Scheidung im Wege des Versorgungsausgleichs hälftig zu teilen.

[14]3. ...

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