US-amerikanische Sanktionsnormen, die es verbieten, Waren oder Dienstleistungen iranischen Personen, die SDN-gelistet sind, bereitzustellen bzw. ihnen sonstige erhebliche Unterstützung zu leisten, sind keine gem. Art. 9 Rom I-VO zu beachtenden Eingriffsnormen, es sei denn, der Erfüllungsort ist in den USA belegen. Sie sind ferner keine Verbotsgesetze im Sinne des § 134 BGB.
Für die Konkretisierung der guten Sitten i.S.d. § 138 BGB ist auf den inländischen, d.h. deutschen Standard abzustellen. Somit ist der Verstoß gegen ein ausländisches Verbotsgesetz nur dann sittenwidrig, wenn das Geschäft auch nach den Maßstäben des deutschen Rechts zu missbilligen ist. Geht eine ausländische Sanktionsnorm weit über deutsche oder europäische Interessen hinaus, führt ein Verstoß gegen diese Bestimmung deshalb nicht zur Sittenwidrigkeit nach deutschem Recht
Im Rahmen von § 138 Abs. 1 BGB sind ausländische Sanktionsnormen als tatsächliche Umstände zu berücksichtigen, soweit eine materielle Vorschrift des nach den Bestimmungen dieser Verordnung auf den Vertrag anwendbaren Rechts dies vorsieht. Die in Frage stehende ausländische Norm nimmt mit den von ihr hervorgerufenen tatsächlichen Wirkungen wie eine Tatsache an der Subsumtion unter die sachrechtlichen Bestimmungen des anwendbaren Rechts teil. [LS der Redaktion]
Die Beklagte stellt Graphitelektroden her. Sie gehört seit 2017 zum japanischen V Konzern, dem auch Schwestergesellschaften der Beklagten in den Vereinigten Staaten von Amerika angehören. Die Klägerin ist eine auf den Gebieten der Industrie und des Bergbaus tätige Gesellschaft. Ihre Mehrheitsgesellschafterin ist W (OHG), auch W1 Company genannt (im Folgenden: W1). Gesellschafter dieser Gesellschaft sind unter anderem die X Co. (im Folgenden: X) und die Y Company (im Folgenden: Y). Gesellschafterin der X ist die Bank1, die 70,43% deren Geschäftsanteile hält.
Die Vereinigten Staaten von Amerika sanktionieren zu verschiedenen Zwecken und mit verschiedenen Absichten weltweit natürliche und juristische Personen sowie Personenzusammenschlüsse mit oder ohne Rechtsfähigkeit im Rahmen verschiedener Sanktionsprogramme. Das beim US-Bundesfinanzministerium angesiedelte Office of Foreign Asset Control (im Folgenden: OFAC) führt eine sogenannte „Schwarze Liste“, die Specially Designated Nationals and Blocked Persons List (im Folgenden: SDN-Liste). Die Aufnahme in diese Liste als Specially Designated National (SDN) hat zur Folge, dass US-amerikanischen Personen Geschäfte mit dem jeweiligen SDN verboten sind. Nach den Leitlinien des OFAC gilt auch eine Person, die direkt oder indirekt zu mindestens 50 % von einer oder mehreren gelisteten Personen gehalten wird, als SDN, ohne dass es einer expliziten SDN-Listung bedarf.
Auch die Europäische Union sanktioniert - regelmäßig auf Grundlage von Ratsverordnungen - zu verschiedenen Zwecken und mit verschiedenen Absichten weltweit natürliche und juristische Personen sowie Personenzusammenschlüsse mit oder ohne Rechtsfähigkeit im Rahmen verschiedener Sanktionsprogramme.
2015 gingen die Islamische Republik, die Bundesrepublik Deutschland, die Europäische Union, die Vereinigten Staaten von America u.a. das sog. Iran-Abkommen ein. Ein wesentliches Element des Abkommens war die Sanktionslockerung. Die Bank1 wurde von der EU-Sanktionsliste gestrichen. In den Vereinigten Staaten von Amerika konnte die Suspendierung von Sekundärsanktionen durch eine präsidentielle Ausnahmegenehmigung erreicht werden.
2018 unterbreitete die Beklagte der Klägerin ein Angebot über den Verkauf von insgesamt 600 t Graphitelektroden zum Gesamtpreis von € ..., welches die Klägerin annahm. Die Beklagte verpflichtete sich, die Elektroden an W1 bis spätestens zum xx.xx.2018 zu liefern. Der Vertrag sollte deutschem Recht unter Ausschluss des UN-Kaufrechts unterliegen. Am 8. Mai 2018 kündigten die Vereinigten Staaten von Amerika an, das Iran-Abkommen zu kündigen und zum 7. August 2018 bzw. 5. November 2018 ihre Iran-Sanktionen wiedereinzuführen. Die Europäische Union reagierte hierauf mit der Reaktivierung der Blocking-VO.
Im August 2018 teilte die Beklagte mit, die politische Lage habe erhebliche Auswirkungen auf den Banken- und Schifffahrtssektor. Eine Vorauszahlung würde es ihr ermöglichen, die Graphitelektroden zu verschiffen, wenn dies nach der Exportkontrollsituation möglich sei. Am 10. September 2018 schlossen die Parteien eine durch Rechtswahl dem deutschen Recht unterliegende Vorauszahlungsvereinbarung (Advance Payment Agreement, nachfolgend: APA), nach der sich die Klägerin zur Vorauszahlung des gesamten Kaufpreises verpflichtete. Die Klägerin stornierte im Februar 2019 die Bestellung und verlangte die Rückzahlung der Vorauszahlung. Aufgrund der unterbliebenen Lieferung der 500 mm Graphitelektroden entging der Klägerin ein Gewinn von € .... Betreffend die 700 mm Graphitelektroden tätigte sie Deckungskäufe, die Mehrkosten von € ... verursachten.
Die Klägerin hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie € ... nebst Zinsen sowie weitere € ... an außergerichtlichen Anwaltskosten nebst Zinsen und weitere € ... nebst Zinsen zu zahlen. Das Landgericht hat der Klage weit überwiegend stattgegeben. Mit der Berufung verfolgt die Beklagte ihr Ziel der Klageabweisung weiter.
[1]II.
[2]Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie ist jedoch unbegründet. Zu Recht hat das Landgericht der Klage im mit der Berufung angegriffenen Umfang stattgegeben.
[3]1. Sowohl auf das zwischen den Parteien begründete liefervertragliche Verhältnis als auch auf das APA kommt gemäß Art. 3 Abs. 1 S. 1 Rom I-VO deutsches Sachrecht unter Ausschluss des UN-Kaufrechts zur Anwendung. Etwaige bereicherungsrechtliche Ansprüche sind, so sie als vertraglich anzusehen sind, nach Art. 12 Abs. 1 lit. e) Rom I-VO dem Vertragsstatut zugeordnet. So man sie außervertraglich auffasst, sind sie nach Art. 10 Abs. 1 Rom II-VO statutenparallel, d. h. gleichlaufend mit dem Vertragsstatut, anzuknüpfen. Auch dies führt zur Anwendbarkeit deutschen Sachrechts.
[4]2. Weder die zur Lieferung verpflichteten Verträge noch das APA sind nichtig.
[5]a) Eine Nichtigkeit ergibt sich nicht aus § 134 BGB. Ob ein Verstoß gegen US-amerikanisches Sanktionsrecht vorliegt, kann an dieser Stelle dahinstehen. Denn das Vertragsstatut wird vom deutschen Recht gestellt. In diesem Fall können ausländische Verbotsgesetze grundsätzlich nicht zu einer Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts führen (vgl. BGH, Urt. v. 22. 6. 1972 -
[6]Die US-amerikanischen Sanktionsnormen sind auch weder als Eingriffsnormen nach Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO anzuwenden noch ist ihnen nach Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO Wirkung zu verleihen. Denn Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO gestattet nur die Anwendung von Eingriffsnormen der lex fori, Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO eröffnet die Möglichkeit der Berücksichtigung von Eingriffsnormen des Staates des Erfüllungsortes. Gerichtsstaat und Staat des Erfüllungsortes sind vorliegend nicht die Vereinigten Staaten von Amerika. Die Normen eines anderen Staates können nach Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO keine Berücksichtigung finden (vgl. EuGH, Urt. v. 18.1.2016 - C-135/15, Griechenland ./. Nikiforidis, NJW 2017, 141; Erman/M. Stürner, BGB, 16. Aufl. 2020, Art. 9 Rom I-VO Rn. 27; Gebauer/Wiedmann/ Nordmeier, Europäisches Zivilrecht, 3. Aufl. 2021, Art. 9 Rom I-VO Rn. 3; Freitag, NJW 2018, 430, 432; Mankowski, RIW 2019, 180, 181).
[7]b) Eine Nichtigkeit ergibt sich auch nicht aus § 138 Abs. 1 BGB.
[8]aa) Dass ausländische Normen nicht nach Art. 9 Rom I-VO angewendet oder berücksichtigt werden können, schließt nicht aus, sie auf sachrechtlicher Ebene als tatsächliche Umstände zu berücksichtigen, soweit eine materielle Vorschrift des nach den Bestimmungen dieser Verordnung auf den Vertrag anwendbaren Rechts dies vorsieht (EuGH, a. a. O., NJW 2017, 141, 143 Rn. 51; Gernert, Blocking Statutes - Ein Beitrag zu den Wirkungen der Befolgungsverbote im internationalen Wirtschaftsrecht sowie im öffentlichen und privaten Kollisionsrecht, Dissertation Köln 2023, S. 187; v. Allwörden, US-Terrorlisten im deutschen Privatrecht, 2014, S. 132 f.; s. a. Briggs, Private International Law in English Courts, 2. Aufl. 2023, S. 498). In diesem Fall wird die in Frage stehende Norm nicht kraft kollisionsrechtlichen Verweisungsbefehls angewendet, sondern nimmt mit den von ihr hervorgerufenen tatsächlichen Wirkungen wie eine Tatsache an der Subsumtion unter die sachrechtlichen Bestimmungen des anwendbaren Rechts teil. Die theoretische Grundlage hierfür bildet die sog. Datum-Theorie (vgl. BeckOGK/Maultzsch, 1.9.2023, Art. 9 Rom I-VO Rn. 147.2; Gebauer/Wiedmann/Nordmeier, a. a. O., Art. 9 Rom I-VO Rn. 4; Staudinger/Magnus, 2021, Art 9 Rom I-VO Rn. 140) in ihrer fortentwickelten, bilateralisierten Form (M.-P. Weller, in: Gebauer/Mansel/ Schulze, Die Person im Internationalen Privatrecht, 2019, S. 53, 73).
[9]Nicht zu entschieden werden braucht in diesem Zusammenhang, ob eine über Art. 9 Rom I-VO hinausgehende Berücksichtigung ausländischer Sanktionsnormen unter Geltung der Rom I-VO nach Maßgabe des Entscheidung EuGH, a. a. O., NJW 2017, 141, auch im Rahmen der Sittenwidrigkeitsprüfung nach § 138 Abs. 1 BGB möglich (MüKo BGB/v. Hein, 8. Aufl. 2020, Einl. IPR Rn. 314 f.; Gernert, IPRax 2020, 329, 33) oder deswegen abzulehnen ist, weil es sich insofern nicht um eine Berücksichtigung der tatsächlichen Wirkungen, sondern des normativen Gehalts der betreffenden Sanktionsnormen handelt (Rauscher/Thorn, 5. Aufl. 2023, Art. 9 Rom I-VO Rn. 99; Kronenberg, IPRax 2023, 155, 156; Lieberknecht, IPRax 2018, 573, 577; siehe auch Grüneberg/Thorn, 82. Aufl. 2023, Art. 9 Rom I-VO Rn. 14; differenzierend W.-H. Roth, IPRax 2018, 177, 184).
[10]bb) Denn selbst wenn man eine solche Berücksichtigung grundsätzlich gestatten wollte, führte sie vorliegend nicht zur Sittenwidrigkeit nach § 138 Abs. 1 BGB.
[11](1) Bei der Beurteilung der Sittenwidrigkeit ist auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der Vornahme des Rechtsgeschäfts abzustellen, nicht auf den des Eintritts der Rechtswirkungen (Grüneberg/Ellenberger, a. a. O., § 138 Rn. 9 m. w. N.). Ein vom Landgericht im Ausgangspunkt erwogenes nachträgliches „sittenwidrig Werden“ der vertraglichen Vereinbarungen durch die SDN-Listung von Y und Bank1 kommt deshalb nicht in Betracht.
[12](2) Weder die vertragliche Vereinbarung über die Lieferung der Graphitelektroden aus April 2018 noch das APA aus September 2018 verstießen gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden. Sie sind deshalb nicht sittenwidrig.
[13]Grundsätzlich ist für die Konkretisierung der guten Sitten auf den inländischen, d. h. deutschen Standard abzustellen (vgl. MüKo BGB/Armbrüster, 9. Aufl. 2021, § 138 Rn. 28). Dies hat zur Folge, dass der Verstoß gegen ein ausländisches Verbotsgesetz die Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB nur dann rechtfertigt, wenn das Geschäft auch nach den Maßstäben des deutschen Rechts zu missbilligen ist (Looschelders, VersR 2015, 1024, 1026). Geht eine ausländische Sanktionsnorm weit über deutsche oder europäische Interessen hinaus, führt ein Verstoß gegen diese Bestimmung deshalb nicht zur Sittenwidrigkeit nach deutschem Recht (Looschelders, VersR 2015, 1024, 1026; siehe auch LG Hamburg, Urt. v. 3.12.2014 -
[14]Bei den vorliegend streitgegenständlichen Sanktionsbestimmungen lag und liegt eine solche Interessenparallelität nicht vor. Sie lässt sich insbesondere nicht allgemein aus der SDN-Listung ableiten (vgl. v. Allwörden, a. a. O., S. 145). Die EU und die Bundesrepublik Deutschland haben sich die Sanktionspolitik der Vereinigten Staaten von Amerika gerade nicht zu eigen gemacht. Vielmehr haben sie - anders als die Vereinigten Staaten von Amerika im Jahr 2018 - weiter am Iran-Abkommen festgehalten und auf die Wiederinkraftsetzung der Sanktionen durch die Vereinigten Staaten von Amerika mit Gegenmaßnahmen, nämlich mit der Blocking-VO, reagiert. Insbesondere erfolgte die Aufnahme der Bank1 auf die SDN-Liste auch aufgrund der „Iranian Transactions and Sanctions Regulations“, die nach der SDN-Liste mit dem Programmcode IRAN abgekürzt werden. Diese sind durch die Delegierte Verordnung (EU) 2018/1100 der Kommission vom 6. Juni 2018, ABl EU LI 199, S. 1, in den Anhang der Blocking-VO aufgenommen worden. Hingegen hat die EU die Bank1 nicht (erneut) sanktioniert.
[15]Der Umstand, dass Terror- und Proliferationsbekämpfung ein allgemeines Ziel zur Aufrechterhaltung des Friedens und der freiheitlichen Ordnung des Westens sind, führt nicht dazu, dass die Wertungsdifferenz zwischen Deutschland und der EU einerseits und den Vereinigten Staaten von Amerika andererseits keine Wirkung zeitigt.
[16]„It is the sense of Congress that the United States should deny the Government of Iran the ability to continue to oppress the people of Iran and to use violence and executions against pro-democracy protestors and regime opponents [and] fully and publicly support efforts made by the people of Iran to promote the establishment of basic freedoms that build the foundation for the emergence of a freely elected, open, and democratic political system.“...
[17]Ersichtlich sind diese Ziele abstrakt betrachtet solche, die von der Europäischen Union und der Bundesrepublik Deutschland geteilt werden. Nicht hingegen geteilt wird der US-amerikanische Ansatz, diese Ziele durch die Verschärfung von Sanktionen zu verwirklichen. Vielmehr ist der unionale Gesetzgeber ausweislich der Erwägungsgründe zur Blocking-VO der Auffassung, dass der Iran Freedom and Counter-Proliferation Act durch seine extraterritoriale Anwendung das Völkerrecht verletzt und die in der Blocking-VO genannten Ziele, nämlich zur harmonischen Entwicklung des Welthandels und zur schrittweisen Beseitigung der Beschränkungen im internationalen Handelsverkehr beizutragen, behindert. Vor diesem Hintergrund ist es nicht möglich, durch den allgemeinen Rekurs auf die Bekämpfung von Terror und Proliferation US-amerikanischen Sanktionsnormen bei der Bestimmung der Sittenwidrigkeit nach § 138 Abs. 1 BGB einfließen zu lassen. Dabei ist in tatsächlicher Hinsicht auch zu bedenken, dass weder Y noch die Bank1 allein auf Grundlage von EO 13224 und EO 13382 sanktioniert wurden.
[18]c) ...