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Verfahrensgang

KG, Beschl. vom 03.02.2017 – 3 UF 47/16 (IPRspr 2017-164)

Rechtsgebiete

Kindschaftsrecht → Kindesentführung

Leitsatz

Gegen die Zwangsvollstreckung aus einer ausländischen (hier: türkischen) Unterhaltsentscheidung kann ein Schuldner mit einer Beschwerde gemäß Art. 13 HUÜ 73 in Verbindung mit § 59a I AUG auch rechtsvernichtende und -hemmende Einwendungen im Sinne des § 767 I ZPO geltend machen, soweit die Rechtskraft des ausländischen Urteils unberührt bleibt, die Gründe, auf denen sie beruhen, erst nach Erlass der ausländischen Entscheidung entstanden sind und die Einwendungen unstreitig oder rechtskräftig festgestellt sind. [LS der Redaktion]

Rechtsnormen

2675/1982 IPRG (Türkei) Art. 8
6098/2011 OG (Türkei) Art. 125
AUG § 1; AUG § 43; AUG § 57; AUG § 59; AUG § 59a
HUntÜ 2007 Art. 4; HUntÜ 2007 Art. 5; HUntÜ 2007 Art. 8; HUntÜ 2007 Art. 12; HUntÜ 2007 Art. 13; HUntÜ 2007 Art. 48
HUP 2007 Art. 3; HUP 2007 Art. 11
ZPO § 767

Sachverhalt

Die durch das BfJ vertretene und in der Türkei lebende ASt. ist die geschiedene Ehefrau des AGg. Durch Urteil des 4. Familiengerichts Ankara vom 20.4.2006 wurde der AGg. verpflichtet, an die ASt. ab 14.12.2004 (Klagedatum) bis zum 15.6.2006 einen mtl. Unterhalt und ab 16.6.2006 (Rechtskraft der Scheidung) einen mtl. (Armuts-)Unterhalt zu zahlen.

Das Urteil ist seit dem 25.4.2007 rechtskräftig. Der AGg. wurde mit Schreiben vom 23.4.2013 durch das BfJ zur Zahlung des Unterhalts aus dem Urteil aufgefordert. Er hat Beschwerde gegen die Vollstreckbarerklärung eingelegt.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]II. Die Beschwerde des AGg. ist gemäß Art. 13 HUÜ 73 i.V.m. §§ 1 I 1 Nr. 2a, 43, 57, 59 AUG statthaft und zulässig, jedoch unbegründet.

[2]Das HUntÜbk 2007, das nach seinem Art. 48 im Verhältnis der Vertragsstaaten zueinander das HUÜ 73 ersetzt und das die Türkei am 25.4.2016 ratifiziert hat, findet auf den vorliegenden Fall keine Anwendung ...

[3]Nach Art. 4 HUÜ 73 ist die in einem Vertragsstaat ergangene Entscheidung in einem anderen Vertragsstaat anzuerkennen oder für vollstreckbar zu erklären, wenn sie von einer nach dem Übereinkommen zuständigen Behörde erlassen worden ist und gegen sie im Ursprungsstaat kein ordentliches Rechtsmittel mehr zulässig ist. Die Anerkennung oder Vollstreckung der Entscheidung darf nach Art. 5 HUÜ 73 versagt werden, wenn dies mit der öffentlichen Ordnung des Vollstreckungsstaats offensichtlich unvereinbar ist, wenn die Entscheidung das Ergebnis betrügerischer Machenschaften im Verfahren ist, wenn ein denselben Streitgegenstand betreffendes Verfahren zwischen den Parteien noch anhängig ist und als erstes eingeleitet war oder wenn die Entscheidung mit einer Entscheidung zwischen denselben Parteien über denselben Streitgegenstand unvereinbar ist. Die Behörden des Vollstreckungsstaats dürfen die Entscheidung nach Art. 12 HUÜ 73 allerdings nicht auf ihre Gesetzmäßigkeit nachprüfen.

[4]Daher kann der Verpflichtete mit seiner Beschwerde, die sich gegen die Zulassung der Zwangsvollstreckung aus einer Entscheidung richtet, nach § 59a I AUG Einwendungen gegen den Anspruch selbst nur insoweit geltend machen, als die Gründe, auf denen sie beruhen, erst nach dem Erlass der Entscheidung entstanden sind.

[5]Nach st. Rspr. des BGH kann der Unterhaltsschuldner mit seiner Beschwerde nach Art. 13 HUÜ 73 i.V.m. § 59a I AUG keine sachlichen Einwendungen gegen einen titulierten Unterhaltsanspruch erheben, die im Wege einer Abänderungsklage geltend zu machen wären (BGH, Beschl. vom 2.3.2011 – XII ZB 156/09 (IPRspr. 2011-268), BGHZ 171, 310). Im Übrigen schließen Art. 12 HUÜ 73 und § 59a I AUG aber eine Berücksichtigung nachträglich entstandener sachlicher Einwendungen gegen den titulierten Anspruch im Vollstreckbarkeitsverfahren nicht aus (BGH, Beschl. vom 2.3.2011 aaO juris noch zu § 12 AVAG). Der Schuldner kann mit seiner Beschwerde gegen die Zulassung der Vollstreckbarkeit einer ausländischen Entscheidung gemäß Art. 13 HUÜ 73 i.V.m. § 59a I AUG deswegen auch rechtsvernichtende und -hemmende Einwendungen i.S.d. § 767 I ZPO geltend machen, soweit die Rechtskraft des ausländischen Urteils unberührt bleibt, die Gründe, auf denen sie beruhen, erst nach Erlass der ausländischen Entscheidung entstanden sind und die Einwendungen unstreitig oder rechtskräftig festgestellt sind (BGH, Beschl. vom 2.3.2011 aaO).

[6]Auf der Grundlage dieser Rspr. hat das AG die Vollstreckbarkeit der türkischen Entscheidung zu Recht angeordnet.

[7]Soweit sich der AGg. auf eine wesentliche Änderung der dem Unterhaltstitel zugrunde liegenden wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse der ASt. beruft, kann dies im Vollstreckbarkeitsverfahren allerdings grunds. nicht berücksichtigt werden ...

[8]Auch ein Versagungsgrund i.S.v. Art. 12 i.V.m. Art. 5 Nr. 2 HUÜ 73 besteht nicht ...

[9]Eine nach Rechtskraft der zu vollstreckenden Entscheidung eingetretene Verwirkung oder Verjährung der Unterhaltsansprüche ist zwar gemäß § 59a I AUG im Beschwerdeverfahren zu berücksichtigen, soweit der zugrunde liegende Sachverhalt unstreitig ist (vgl. zu nachträglichem Forderungsübergang BGH, Beschl. vom 2.3.2011 aaO). Es kann hier auch dahinstehen, ob die im Geltungsbereich des § 59a I AUG erhobenen Einwendungen generell nach dem Recht zu beurteilen sind, das der titulierten Forderung zugrunde liegt oder nach dem Unterhaltsstatut zum maßgeblichen Zeitpunkt zu beurteilen ist, ob sich das maßgebliche Recht nach dem deutschen IPR bestimmt oder ob es dem IPR des Erststaats zu entnehmen ist (vgl. Geimer, IZPR, 7. Aufl., Rz. 3152, 3115; Andrae, Int. Familienrecht, 3. Aufl., § 8 Rz. 297). Denn nach allen Anknüpfungen findet auf die Einwendungen türkisches Recht Anwendung. Es handelt sich hier um ein türkisches Urteil über Unterhalt, auf den türkisches Recht Anwendung fand. Das deutsche IPR unterstellt die materiell-rechtlich zu qualifizierenden Institute der Verjährung bzw. Verwirkung dem Rechtsstatut, dem das betreffende Recht unterliegt (BGH, Beschl. vom 25.2.2009 – XII ZB 224/06 (IPRspr. 2009-254), juris Rz. 21). Auch das türkische IPR stellt mit Art. 8 des Gesetzes Nr. 2675 über das internationale Privat- und Zivilverfahrensrecht vom 20.5.1982 für die Verjährung von Unterhaltsansprüchen auf das Recht ab, das auf die betreffende Rechtsbeziehung selbst anzuwenden ist. Gemäß Art. 4 und 8 HUÜ 73 gilt für Unterhaltspflichten von Ehegatten das Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Unterhaltsberechtigten bzw. das auf die Ehescheidung angewandte Recht, hier also türkisches Recht. Gleiches gilt nach Art. 3 I i.V.m. Art. 11 lit. e HUP (zur Abgrenzung beider Staatsverträge im Verhältnis zur Türkei: OLG Stuttgart, Beschl. vom 13.8.2014 – 17 WF 146/14 (IPRspr. 2014-37), juris; Palandt-Thorn, BGB, 76. Aufl., Art. 18 HUntProt Rz. 56).

[10]Nach dem unwidersprochenen Vortrag der ASt., die sich auf die Auskunft des türkischen Justizministeriums vom 7.10.2016 bezieht, beträgt die Verjährungsfrist für anerkannte Unterhaltsansprüche und vollstreckungsfähige Titel 10 Jahre (Art. 39 I türkisches Beitreibungs- und Vollstreckungsgesetz, Art. 125 türk. OG). Soweit hier Unterhaltsansprüche seit Dezember 2004 im Streit stehen, ist nach der Auskunft des türkischen Justizministeriums vom 17.6.2016 die Verjährung auch unstreitig durch den Antrag der ASt. an das türkische Justizministerium zwecks Durchsetzung ihrer titulierten Unterhaltsansprüche nach dem HUÜ 73 spätestens im April 2013 unterbrochen worden. Eine Verjährung der titulierten Unterhaltsansprüche ist daher nicht eingetreten.

[11]Hinsichtlich der Verwirkung hat der AGg., den die Darlegungs- und Beweislast trifft (Geimer aaO Rz. 3147), seine Einwendung bereits nicht schlüssig dargelegt Nach dem unstreitigen Vortrag der ASt. kennt das türkische Recht die Einwendung der Verwirkung nicht.

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