Die rein religiöse Eheschließung syrischer Flüchtlinge im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention in der Türkei ist unwirksam und begründet daher nicht die Vaterschaft für ein anschließend in Deutschland geborenes Kind.
Die nach ihren Angaben am ##.12.1996 geborene Antragstellerin und der am ##.##.1986 geborene Beteiligte A sind syrische Staatsangehörige. Aufgrund des syrischen Bürgerkriegs verließ zunächst der Beteiligte A spätestens im Jahr 2013 Syrien und hielt sich in der Türkei auf, wohin die Antragstellerin im Jahr 2013 nachkam. In der Türkei schlossen die Antragstellerin und der Beteiligte A im Jahr 2013, vermutlich im August, nach islamischem Ritus vor einem Imam miteinander die Ehe. Die Beteiligten lebten rund zwei Jahre zusammen in der Türkei, die sie im September 2015 verließen. Sie flüchteten dann weiter nach Deutschland, wo sie seitdem leben. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) erkannte ihnen am ##.##.2016 Flüchtlingsschutz zu.
Die Antragstellerin beantragt, aufgrund einer Anfechtung der Vaterschaft festzustellen, dass der Beteiligte A nicht der Vater des Kindes K, geboren ##.##.2022, ist, hilfsweise aufgrund nicht begründeter Vaterschaft festzustellen, dass er nicht der Vater des Kindes ist.
[1]... Der zulässige Antrag hat im Hilfsantrag Erfolg.
[2]Das Amtsgericht Gemünden a. Main ist international und örtlich zuständig, § 100 Nr. 2, 170 Abs. 1 FamFG.
[3]Der Hilfsantrag ist begründet.
[4]Die Vaterschaftsanfechtung geht allerdings ins Leere, da der Beteiligte A von vornherein nicht der rechtliche Vater des Kindes K, geboren am ##.##.2022, ist. Damit hat der Hilfsantrag Erfolg.
[5]Gemäß Art. 19 Abs. 1 EGBGB bestimmt sich die Abstammung eines Kindes alternativ nach dem Recht des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes, nach dem Recht des Staates, dem der Mann, um dessen Vaterschaft es geht, angehört, oder nach dem Recht, das für die allgemeinen Ehewirkungen der Ehe der Kindesmutter im Zeitpunkt der Geburt objektiv maßgeblich ist (Art. 14 Abs. 2 EGBGB).
[6]Nach allen Anknüpfungsvarianten richtet sich die Abstammung nach deutschem Recht.
[7]Das Kind hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt seit seiner Geburt durchgehend in Deutschland.
[8]Der Beteiligte A ist zwar syrischer Staatsangehöriger, aber die Anwendung des nach Art. 19 Abs. 1 S. 2 EGBGB an sich berufenen Heimatrecht ist ausgeschlossen, da der Beteiligte A als Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) gilt und sich sein Personalstatut wegen der Sonderanknüpfung gemäß Art. 12 Abs. 1 GFK nach dem Recht des Aufenthaltsstaats bestimmt (vgl. BGH 11.10.2006 –
[9]Auch die Anknüpfung an das Ehewirkungsstatut würde – ungeachtet der Frage, ob die Ehe der Beteiligten überhaupt wirksam ist – aufgrund des gewöhnlichen Aufenthalts der Antragstellerin und des Beteiligten A im Zeitpunkt der Geburt in Deutschland gemäß Art. 14 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB zum deutschen Recht führen.
[10]Die Vaterschaft des Beteiligten A ergibt sich nicht aus dem hier allein in Betracht kommenden § 1592 Nr. 1 BGB.
[11]Die Antragstellerin und der Beteiligte A haben nicht wirksam eine Ehe geschlossen.
[12]Die Vorfrage der wirksamen Ehe zum Zeitpunkt der Geburt ist nach dem von Art. 13 EGBGB hinsichtlich der Eheschließungsvoraussetzungen und Art. 11 EGBGB hinsichtlich der Form berufenen Recht zu beantworten, da die Vorfrage grundsätzlich selbständig anzuknüpfen ist, wobei hier auch die unselbständige Anknüpfung zur Anwendung der deutschen Kollisionsnormen führt (vgl. BGH 20.04.2016 –
[13]Danach ist die im Jahr 2013 in der Türkei nach islamischem Ritus geschlossene Ehe nicht wirksam.
[14]Die Eheschließungsvoraussetzungen bestimmen sich grundsätzlich gemäß Art. 13 Abs. 1 EGBGB nach dem Recht des Staates, dem Verlobten bei Eheschließung jeweils angehörten. Auch insoweit ist aber die Anwendung des syrischen Rechts ausgeschlossen, da sich das Personalstatut der Antragstellerin und des Beteiligten A wegen der Sonderanknüpfung des [Art. 12] Abs. 1 GFK nach dem Recht des Aufenthaltsstaats bestimmt. Die Antragstellerin und der Beteiligte A waren bereits bei Eheschließung im Jahr 2013 Flüchtlinge im Sinne des Art. 12 GFK. Auch wenn die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft durch das BAMF keine Bindungswirkung gemäß § 6 AsylG für ein davor liegendes Geschehen im Ausland zeitigen mag (vgl. aber auch BGH 27.08.2003 –
[15]Nach türkischem IPR bestimmen sich die Eheschließungsvoraussetzungen ebenfalls nach dem Recht der Staatsangehörigkeit (Art. 13 Abs. 1 des türkischen Gesetzes über das internationale Privat- und Zivilverfahrensrecht Nr. 5718 v. 27.11.2007), angesichts der Bindung der Türkei an die GFK (BGBl. II 1962, 1522) somit nach dem Aufenthaltsrecht (Art. 4 lit a türkIPRG). Eine etwaige andere Auslegung des Begriffs des Flüchtlings i.S.d. GFK in der türkischen Rechtspraxis wäre letztlich unerheblich, da eine Weiterverweisung nach Art. 13 Abs. 1 türkIPRG auf das syrische Recht als Recht der Staatsangehörigkeit unbeachtlich wäre (MünchKommBGB/von Hein, 9. Aufl. 2024, Art. 5 EGBGB Anh. 2 Rn. 73; NK-BGB/Makowsky/ Schulze, Art. 5 EGBGB Anh. 2 Rn. 27; Staudinger/Bausback (2013) Art. 5 EGBGB Anhang IV Rn. 68; grds für Sachnormverweisung Erman/Stürner, 17. Aufl. 2023, Art. 5 EGBGB Rn. 102).
[16]Ob der wirksamen Eheschließung die fehlende Ehefähigkeit der Antragstellerin entgegensteht, die nach ihren Angaben bei einer Eheschließung im August 2013 das 17. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte, was Art. 141 des türkischen Zivilgesetzbuchs (Nr. 4721 v. 22.11.2001) für die Eheschließung verlangt (Kaman Kaplan in: Rieck/Lettmaier, Ausländisches Familienrecht, Türkei, 25. EL 2023, Rn. 4; Rumpf/Odendahl in: Bergmann/Ferid/ Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Türkei, Stand: 1.6.2020, S. 34), kann dahinstehen, da jedenfalls die Eheschließung nicht formwirksam ist.
[17]Die Form der Eheschließung bestimmt sich gemäß Art. 11 Abs. 1 EGBGB alternativ nach dem auf die Eheschließungsvoraussetzungen anwendbaren Recht oder dem Recht des Staates, in dem die Ehe geschlossen wird. Beide Alternativen verweisen auf das türkische Recht, das die Form der Eheschließung dem Recht des Staates unterstellt, in dem die Eheschließung stattfindet (Art. 13 Abs. 2 türkIPRG; Kaman Kaplan in: Rieck/Lettmaier, Türkei, Rn. 40; Rumpf/Odendahl in: Bergmann/Ferid/ Henrich, Türkei, S. 23). Zur Form gehört auch aus türkischer Sicht die Frage, ob die Ehe vor einem Standesbeamten oder in rein religiöser Form geschlossen werden kann (Rumpf/Odendahl in: Bergmann/Ferid/ Henrich, Türkei, S. 23).
[18]Nach türkischem Recht muss die Eheschließung vor dem Standesbeamten erfolgen, die rein religiöse Eheschließung ist unwirksam (Art. 141 türkZGB; Rumpf/Odendahl in: Bergmann/Ferid/ Henrich, Türkei, S. 23, 30, 34; Kaman Kaplan in: Rieck/Lettmaier, Türkei, Rn. 6). Die Antragstellerin und der Beteiligte A haben nach ihren übereinstimmenden Angaben lediglich nach islamischem Ritus vor einem Imam die Ehe geschlossen, so dass die Ehe nicht wirksam ist.
[19]Mangels Bestands der Ehe bei Geburt des Kindes ist der Beteiligte A nicht der Vater des Kindes K, geboren am ##.##.2022. Eine Anerkennung oder Feststellung der Vaterschaft des Beteiligten A ist nicht erfolgt.
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