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Verfahrensgang

LG Berlin, Urt. vom 28.11.2022 – 101 O 57/22, IPRspr 2022-263

Rechtsgebiete

Juristische Personen und Gesellschaften → Gesellschaftsstatut, insbesondere Rechts- und Parteifähigkeit

Leitsatz

Dem Handels und Kooperationsabkommen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich (Trade and Cooperation Agreement, TCA) ist nicht zu entnehmen, dass nach Ablauf der Übergangsphase trotz Verwaltungssitzes in Deutschland weiterhin die Gründungstheorie zugunsten des Vereinigten Königreiches anzuwenden ist. Insbesondere gewährt das TCA nach dem Austritt des Vereinigten Königreiches keine Niederlassungsfreiheit, wie sie Unternehmen aus den anderen noch der EU angehörigen Staaten genießen.

Britische limited companies sind nach dem Brexit trotz in Deutschland entfallener Rechtsfähigkeit als „Limited“ kein rechtliches Nullum; vielmehr sind sie - wenn wie hier die Gesellschaft nur aus einem einzigen Gesellschafter besteht - als einzelkaufmännische Unternehmen zu behandeln.

Die Klauselerteilung zu Lasten einer infolge des Brexits als einzelkaufmännisches Unternehmen zu behandelnden Limited bedarf keines Nachweises i.S.v. § 727 ZPO. [LS der Redaktion]

Rechtsnormen

BrexitAbk Art. 67
EuGVVO 1215/2012 Art. 39
EUV Art. 50
TCA (2020) Art. 123 ff.; TCA (2020) Art. 128; TCA (2020) Art. 135; TCA (2020) Anh. 19 Ziff. 10
UmwG § 226
ZPO § 50; ZPO § 727; ZPO § 767; ZPO § 768

Sachverhalt

Die Parteien streiten um die Zulässigkeit der Rechtsnachfolgeklausel aus im Verfahren 101 O 152/16 von der Beklagten erstrittener Titel. Im Rechtsstreit umgekehrten R. (101 O 152/16) wurde die T. Services Ltd. (sowie der Kläger gesondert in persönlicher Inanspruchnahme) zweitinstanzlich am 7.9.2018 vom Kammergericht u.a. zur Zahlung verurteilt; zudem wurden die T. Service Limited und der Kläger zur Unterlassung und Auskunftserteilung verurteilt; ferner ergingen zwei Kostenfestsetzungsbeschlüsse (9.1.2020 und 30.3.2020). Der hiesige Kläger ist Alleingesellschafter der T. Services Limited. Letztere ist eine britische Gesellschaft mit Verwaltungssitz in Deutschland. Am 19.5.2022 wurde dem Klägervertreter mitgeteilt, dass Rechtsnachfolgeklauseln (am 29.4.2022) auf die drei genannten Titel erteilt wurden und zwar gegen den hiesigen Kläger. Die Klausel lautet: „Eine Rechtsnachfolgeklausel wurde heute gegen Herrn D. R., [Adresse] als Rechtsnachfolger der Beklagten zu 1) T. Services Ltd. der Antragstellerin C. GmbH zum Zwecke der Zwangsvollstreckung erteilt. Die Rechtsnachfolge ist bei Gericht offenkundig. Die Offenkundigkeit ergibt sich aus der Tatsache, dass in Folge des Brexit Herr D. R. als bisheriger Alleingesellschafter der T. Services Ltd. als natürliche Person an deren Stelle tritt.“ Vollstreckbare Ausfertigungen wurden der Beklagten erteilt.

Der Kläger beantragt, die Rechtsnachfolgeklauseln für das Urteil des KG vom 7.9.2018, 5 U 118/17, den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 9.1.2020 und den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 30.3.2020, wie mit Schreiben des Landgerichts Berlin vom 19.5.2022, Zeichen 101 O 152/16 mitgeteilt, für unzulässig zu erklären.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]II.

[2]Gemäß § 768 i.V.m. § 767 ZPO kann der Kläger Einwendungen erheben, die darauf beruhen, dass die materiell - rechtlichen Voraussetzungen für die Erteilung der Vollstreckungsklausel nicht vorliegen.

[3]1. ... 2. Voraussetzung jeglicher Zwangsvollstreckung ist - wie auch im Erkenntnisverfahren - dass die Parteifähigkeit besteht (vgl. Seibel in Zöller, ZPO, 33. Aufl., vor § 704 Rn. 16). Parteifähig ist gemäß § 50 Absatz 1 ZPO, wer rechtsfähig ist.

[4]Die T. Services Ltd. ist in der Rechtsform der Limited (Kapitalgesellschaft) in Deutschland nicht mehr existent, nachdem der Übergangszeitraum bis 31. Dezember 2020 abgelaufen ist (vgl. OLG München NZG 2021, 1518 (IPRspr 2021-172) - Brexit means Brexit OLG Celle WM 2022, 1987 [sic.]; Althammer in Zöller, ZPO, 34. Aufl., § 50 Rn.).

[5]Die EuGVVO i.V.m. Art. 67 des Austrittabkommens ist irrelevant, da es vorliegend nicht um die Vollstreckung im Vereinigten Königreich geht; i.Ü. kommt es gemäß Art. 39 EuGVVO auf Vollstreckbarkeit nach dem Recht des Ursprungsmitgliedslandes an, also Deutschland an. Mithin kommt es darauf an, ob die Vollstreckungsvoraussetzungen in Deutschland vorliegen (vgl. Geimer in Zöller, ZPO, 33. Aufl., EuGVVO Art. 39 Rn. 10). Also beurteilt sich auch die Parteifähigkeit (Rechtsfähigkeit) im Vollstreckungsverfahren nach deutschem Recht (§ 50 ZPO).

[6]Das deutsche Recht kennt die Limited nicht. Mithin besteht die T. Services Limited als Vollstreckungsschuldnerin in Deutschland nicht mehr.

[7]3. Indes ist die T. Services Ltd. trotz in Deutschland entfallener Rechtsfähigkeit als „Limited“ kein rechtliches Nullum; vielmehr ist sie - wenn wie hier die Gesellschaft nur aus einem einzigen Gesellschafter besteht - als einzelkaufmännisches Unternehmen zu behandeln (vgl. OLG München a.a.O.; so auch LG Berlin vom 21.03.2022 - 59 O 77/22 - zitiert nach juris; so auch OGH Österreich NZG 2022, 1072; vgl. auch Miras in beckOK GmbHG, 53. Ed., § 5a Rn. 15d sowie Servatius in Noack/Servatius/ Haas - vormals Baumbach/Hueck -, GmbHG, 23. Aufl., § 4a Rn. 13) mit der Folge der persönlichen Haftung des Klägers.

[8]Dem Eintritt dieser Rechtsfolge steht nicht die Rechtsprechung des EuGH (NZG 2002, 1164 - Überseering) zur Anwendbarkeit der Gründungstheorie (anstelle der Sitztheorie) im Geltungsbereich der Europäischen Union entgegen, da diese Rechtsprechung sich nicht auf Drittstaaten bezieht; das Vereinigte Königreich ist aber nunmehr Drittstaat.

[9]Auch existiert kein Staatsvertrag, der ähnlich wie der Staatsvertrag mit den USA zur Anwendung der Gründungstheorie zwingt. Mithin ist nunmehr im Verhältnis zum Vereinigten Königreich wieder die Sitztheorie anzuwenden (vgl. OLG München a.a.O.; Althammer in Zöller, ZPO, 34. Aufl., § 50 Rn. 32; Servatius a.a.O.; Merkt in Münchener Kommentar GmbHG, 4. Aufl., § 11 Rn. 126).

[10]Dem Handels und Kooperationsabkommen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich (Trade and Cooperation Agreement; im Folgenden: TCA) ist nicht zu entnehmen, dass nach Ablauf der Übergangsphase trotz Verwaltungssitzes in Deutschland weiterhin die Gründungstheorie zugunsten des Vereinigten Königreiches anzuwenden ist. Insbesondere gewährt das TCA nach dem Austritt des Vereinigten Königreiches keine Niederlassungsfreiheit, wie sie Unternehmen aus den anderen noch der EU angehörigen Staaten genießen (vgl. OLG München a.a.O., BGH NZG 2021, 702 (IPRspr 2021-117); so auch OGH Österreich a.a.O.; Miras in BeckOK GmbHG, 53. Ed., § 5a Rn. 15d).

[11]Den Bestimmungen in Art. 123fff des TCA (bzw. Title II Services an Investments des Draft Agreements = Teil II - Dienstleistungen und Investitionen -) ist nichts zugunsten des Fortbestandes der Niederlassungsfreiheit zu entnehmen. Zwar wird dort geregelt, dass keine Partei des Abkommens Maßnahmen ergreifen darf, die die Erbringung einer Dienstleistung durch einen Dienstleister auf bestimmte Formen rechtlicher Einheiten oder von Joint Ventures beschränken oder für diese vorschreiben (Art. 135 TCA). Dies berührt indes nicht die Niederlassungsfreiheit; für den in Art 135 bzw. 128 TCA geregelten Zugang zu Markt bedarf es nicht der Niederlassungsfreiheit; dies ist in Anhang 19 Ziffer 10 klargestellt (vgl. OLG München a.a.O).

[12]Die vom Kläger zitierte Entscheidung des OLG Stuttgart (Justiz 2022, 112) verkennt, dass der TCA - wie ausgeführt - nicht die Anerkennung der Limited in Deutschland vorsieht. Die genannte Entscheidung stützt sich auf einen Beitrag von F. (NZG 2021, 483), der gleichfalls einräumt, dass nach dem Austritt des Vereinigten Königreiches die Anerkennung der Rechtsform der Limited als Kapitalgesellschaft in Deutschland nicht mehr gedeckt ist. Soweit F. aber dem Teil II - Dienstleistungen und Investitionen - entnimmt, dass die Limited nach Austritt des Vereinigten Königreiches nach wie vor in Deutschland als Kapitalgesellschaft zu behandeln ist, überzeugt dies die Kammer nicht. Denn der TCA behandelt gesellschaftsrechtliche Regelungen nicht, vielmehr regeln ausweislich des Wortlautes die Art. 128/135 TCA (vormals Titel II) lediglich den Markzugang (in Bezug auf Investitionen bzw. .Dienstleistungshandel), wobei - wie ausgeführt - in Anhang 19 Ziffer 10 TCA (so bereits Annex SERVIN 1 Ziffer 10 des Drafts) klargestellt ist, dass keine Verpflichtung besteht, auf juristische Personen des Vereinigte Königreichs die Behandlung zu erstrecken, die solchen juristischen Personen aus EU-Ländern gewährt wird, die nach dem Recht eines EU-Staates gegründet werden und ihre Verwaltung in einem EU - Staat haben. Dies bedeutet, dass im Vereinigten Königreich gegründete juristische Personen nicht in den Genuss der Behandlung kommen, die die EuGH-Rechtsprechung vorsieht.

[13]Auch der Verweis auf das das Abkommen mit den USA ändert an der Rechtslage in Bezug auf das Vereinigte Königreich nichts. Denn anders als das USA-Abkommen (welches die Anknüpfung an die Gründungstheorie vorsieht) sieht das TCA keine ausdrückliche Regelung der gegenseitigen Anerkennung der Rechtsfähigkeit vor (vgl. Reuter in GPR 2022, 97; Althammer in Zöller, ZPO, 34. Aufl., § 50 Rn. 32).

[14]Ein Vertrauens - oder Bestandsschutz ist nicht anzuerkennen, da erstens aufgrund der Übergangsfrist bis 31. Dezember 2020 Gelegenheit bestand, die Limited in eine nach deutschem Sachrecht anerkannte Rechtsform umzuwandeln, zweitens aufgrund der Austrittsmöglichkeit gemäß Art. 50 des EU-Vertrages ohnehin kein Vertrauen in eine „ewige“ Zugehörigkeit des Vereinigten Königreiches zur EU begründet wurde.

[15]Limiteds, die ihre Gesellschaftsform in Deutschland nicht geändert haben (z.B. gemäß § 122m, UmwG [sic.]), führen mithin ein Doppelleben: Sie sind aus britischer Sicht weiterhin eine Limited, aus deutscher Sicht - bei einer Einmanngesellschaft - ein einzelkaufmännisches Unternehmen (vgl. Tamcke/Bauerfeind in EWiR 2022, 9).

[16]Dass die Kapitalgesellschaft eines Nicht-EU-Landes mit Verwaltungssitz in Deutschland, im Inland zwar nicht als Kapitalgesellschaft rechtsfähig ist, aber auch kein Nullum ist, sondern rechtsfähig als - wie hier bei der Einmanngesellschaft - einzelkaufmännisches Unternehmen, entspricht der Rechtsprechung des BGH (vgl. BGH NJW 2009, 289 - Trabrennbahn).

[17]Unerheblich ist schließlich, dass - wie von dem Kläger behauptet - die T. Services Limited noch als Steuerrechtssubjekt behandelt wird, denn die Frage der Qualifikation als Körperschaftssteuersubjekt und Beteiligtenfähigkeit in einem finanzgerichtlichen Verfahren ist von der zivilprozessualen Rechtsfähigkeit zu unterscheiden (vgl. BFH NZG 2022, 375 (IPRspr 2008-11)).

[18]4. Allerdings stellt sich die Frage, ob es sich insoweit um eine echte Rechtsnachfolge i.S.v. § 727 ZPO handelt, oder ob die von der Urkundsbeamtin erteilte Klausel eine sogenannte Beischreibung darstellt. Auch in letzterem Fall ist das dagegen gerichtete Rechtsmittel die Klauselgegenklage nach § 768 ZPO analog; vgl. Ulrici in BeckOK, ZPO, 46. Ed., § 727 Rn. 18).

[19]Folgt man der von der Kammer im Anschluss an OLG München vertretenen Auffassung, ist die T. Services Limited kein Nullum, sondern in Gestalt des Alleingesellschafters (Klägers) einzelkaufmännisches Unternehmen.

[20]Da ein identitätswahrender Formwechsel einer Kapitalgesellschaft in ein einzelkaufmännisches Unternehmen ohne Vermögensübertragung (§ 226 UmwG) nicht stattgefunden hat, kommt eine für diese Fälle vorgesehene Beischreibung (vgl. BGH MDR 2016, 909; NZG 2017, 822; Ulrici in BeckOK ZPO, 46. Ed., § 727 Rn. 18) nicht in Betracht. Mithin ist die angegriffene Klausel nicht als Beischreibung zu qualifizieren.

[21]Auch eine Rechtsnachfolge im eigentlichen Sinn hat nicht stattgefunden. Der BGH (BGHZ 151, 205 - Jersey) wendet in vergleichbaren Fällen ausdrücklich nicht § 727 ZPO an („mangels Rechtsnachfolge“).

[22]Vielmehr wandelt sich (bzw. qualifiziert sich) die Auslandsgesellschaft (nach der modifizierten Sitztheorie, sog. Wechselbalgtheorie) ex lege um, im Falle der Einpersonengesellschaft in den Unternehmensinhaber (Alleingesellschafter; vgl. Mäsch in BeckOK BGB, 63. Ed. § 12 EGBGB Rn. 76f.; Dostal in Römermann, Münchener Anwaltshandbuch GmbHR, 4. Aufl., § 26 Rn. 286 Wall in Hausmann/Odersky, Internationales Privatrecht, 4. Aufl., § 18 Rn. 23 und 25.). Es handelt sich insoweit um eine kollisionsrechtliche Angleichung/Anpassung (vgl. Wall a.a.O., § 18 Rn. 21 und 25).

[23]Da es sich um eine Rechtsfolge ex lege handelt, bedarf es keines Nachweises i.S.v. § 727 ZPO. Da eine Rechtnachfolge auch kraft Gesetzes eintreten kann (vgl. Kindl. In Sänger, ZPO, 9. Aufl., § 727 Rn. 4), gilt dies erst Recht, wenn es sich - wie hier - um eine kollisionsrechtliche Angleichung/Anpassung handelt. Der Brexit ist eine offenkundige Tatsache. Die kollisionsrechtliche Angleichung/Anpassung ist eine Rechtsfrage. Der Umstand, dass der Kläger Alleingesellschafter der mit Verwaltung in Deutschland ansässigen T. Services Limited ist, ist unstreitig. Mithin bedurfte es keiner weiteren Nachweise, um die Klausel zu Lasten des Klägers zu erteilen.

[24]...

Fundstellen

Bericht

Ostendorf, GWR, 2023, 103

LS und Gründe

NZG, 2023, 706, mit Anm. Lukas

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2022-263

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