Die Frage, ob bei grenzüberschreitenden Nutzungssachverhalten (hier: Abrufbarkeit geschützter Fotografien über den Weblogdienst eines US-amerikanischen Betreibers) Ansprüche aus Urheberrechten oder Leistungsschutzrechten im Inland bestehen, ist gemäß Art. 8 I Rom-II-VO nach dem Recht des Landes zu beurteilen, für das Schutz beansprucht wird.
Nicht jeder im Ausland hochgeladene und im Inland über das Internet abrufbare Inhalt ist dem Schutz der nationalen Rechtsordnung unterworfen. Erforderlich ist vielmehr, dass das Angebot einen hinreichenden wirtschaftlich relevanten Inlandsbezug (commercial effect) aufweist. [LS der Redaktion]
Die Kl., eine im Inland ansässige selbständige Fotografin, nimmt die Bekl., Betreiberin eines in Deutschland unter verschiedenen Domains abrufbaren Weblogdienstes mit Sitz in den USA, auf Unterlassung, Auskunft, Schadensersatz und Erstattung von Abmahnkosten wegen des behaupteten öffentlichen Zugänglichmachens etlicher ihrer Fotografien in Anspruch.
Die Kammer hat mit rechtskräftigem Zwischenurteil vom 19.6.2015 entschieden, dass die deutschen Gerichte für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits international zuständig sind.
[1]A. Die zulässige Klage ist unbegründet.
[2]I. Die Klage ist zulässig. Das LG Hamburg ist international und örtlich zuständig. Die internationale Zuständigkeit hat die Kammer bereits mit Teilurteil vom 19.6.2015 (IPRspr 2015-166) festgestellt. Das Teilurteil ist rechtskräftig. Auf die dortigen Ausführungen wird Bezug genommen. Die örtliche Zuständigkeit folgt ebenfalls aus § 32 ZPO. Eine Differenzierung zwischen internationaler und örtlicher Zuständigkeit ist nicht geboten. Die streitgegenständlichen Fotografien waren auch in Hamburg abrufbar.
[3]II. Die Klage ist unbegründet. Die beanstandeten Nutzungshandlungen verletzen die Kl. nicht in den allein geltend gemachten Rechten aus dem deutschen Urheberrecht. Es fehlt insoweit an einem hinreichenden Inlandsbezug.
[4]1. Im vorliegenden Fall ist deutsches Urheberrecht anzuwenden. Urhebern stehen – auch aus der Sicht der zu ihrem Schutz geschlossenen internationalen Abkommen – keine einheitlichen Schutzrechte zu, die einem einzigen Statut unterliegen. Vielmehr verfügen sie über ein Bündel nationaler Schutzrechte (vgl. nur BGH, GRUR 2007, 691 Rz. 18 (IPRspr 2007-106)). Aufgrund des Territorialitätsprinzips ist der Schutzbereich eines inländischen Schutzrechts auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland beschränkt. Ein Unterlassungsanspruch nach §§ 97 UrhG, 823, 1004 BGB setzt deshalb eine das deutsche Urheberrecht verletzende Benutzungshandlung voraus. Die Frage, ob bei grenzüberschreitenden Nutzungssachverhalten – wie den vorliegenden – Ansprüche aus Urheberrechten oder Leistungsschutzrechten im Inland bestehen, ist gemäß Art. 8 I Rom-II-VO (vgl. ehedem Art. 3 EGBGB) nach dem Recht des Landes zu beurteilen, für das Schutz beansprucht wird (lex loci protectionis, h.M. vgl. BGH, GRUR 2003, 328, 329 (IPRspr. 2002 Nr. 125); GRUR 2007 aaO Rz. 21; GRUR 2012, 621 Rz. 34 (IPRspr 2012-228), s.a. MünchKomm-Drexl, Bd. 11, 6. Aufl., Rz. 12 ff.; Schricker-Loewenheim-Katzenberger, UrhR, 4. Aufl., Vor §§ 120 ff. Rz. 124 ff.). Die kollisionsrechtliche Norm des Art. 8 I Rom-II-VO hat universelle Geltung. Sie regelt gemäß Art. 3 Rom-II-VO die internationalprivatrechtliche Anknüpfung umfassend und ist nicht auf unionsinterne Sachverhalte beschränkt (vgl. Kotthoff in Dreyer/Kotthoff/Meckel, UrhG, 3. Aufl., § 120 Rz. 8). Das Recht des Schutzlands bestimmt, welche Handlungen als Verwertungshandlungen unter ein von ihm anerkanntes Schutzrecht fallen. Da sich die Kl. auf die Verletzung der aus dem UrhG fließenden Befugnisse stützt, ist das UrhG als Schutzlandrecht in Anspruch genommen. Die Verweisung auf das deutsche Recht erstreckt sich auf die Frage des Vorliegens einer Rechtsverletzung ebenso wie auf die hier ebenfalls relevante Frage nach der Haftung mittelbarer Verletzer (vgl. MünchKomm-Drexl aaO Rz. 225).
[5]a) Das sachrechtlich damit auf die in Rede stehenden grenzüberschreitenden Sachverhalte anzuwendende deutsche Urheberrecht setzt, um einen Verstoß auch im Inland zu als gegeben anzusehen, einen besonderen Inlandsbezug voraus (vgl. BGH GRUR 2003 aaO). Ob eine relevante Verletzungshandlung im Inland vorliegt, bedarf nach der Rspr. des BGH insbesondere dann näherer Feststellungen, wenn das vorgeworfene Verhalten seinen Schwerpunkt im Ausland hat. Andernfalls droht die Gefahr, dass es zu einer uferlosen Ausdehnung des Schutzes nationaler Schutzrechte und zu einer unangemessenen Beschränkung der wirtschaftlichen Entfaltung ausländischer Unternehmen kommen kann (vgl. BGH, GRUR 2005, 431, 432 (IPRspr 2004-126); GRUR 2012 aaO Rz. 35). Danach ist nicht jeder im Ausland hochgeladene und im Inland über das Internet abrufbare Inhalt dem Schutz der nationalen Rechtsordnung unterworfen. Erforderlich ist vielmehr, dass das Angebot einen hinreichenden wirtschaftlich relevanten Inlandsbezug (commercial effect) aufweist (BGH, GRUR 2005 aaO, 433; GRUR 2012 aaO Rz. 36). Dabei ist eine Gesamtabwägung vorzunehmen, bei der auf der einen Seite zu berücksichtigen ist, wie groß die Auswirkungen der Nutzungshandlung auf die inländischen wirtschaftlichen Interessen des Schutzrechtsinhabers sind (BGH GRUR 2005 aaO, GRUR 2012 aaO). Auf der anderen Seite ist maßgebend, ob und inwieweit die Rechtsverletzung sich als unvermeidbare Begleiterscheinung technischer oder organisatorischer Sachverhalte darstellt, auf die der Inanspruchgenommene keinen Einfluss hat oder ob dieser etwa zielgerichtet von der inländischen Erreichbarkeit profitiert und die Beeinträchtigung des Schutzrechtsinhabers dadurch nicht nur unwesentlich ist (BGH GRUR 2005 aaO). Diese für Kennzeichenbenutzungen in der Rspr. des BGH entwickelten Grundsätze gelten allgemein für Sachverhalte, bei denen ein im Ausland vorgenommenes Verhalten Auswirkungen auf inländische Schutzrechte hat (BGH GRUR 2012 aaO; OLG München, ZUM-RD 2012, 88, 91 (IPRspr 2011-246); vgl. zu Art. 6 I Rom-II-VO auch BGH, GRUR 2014, 601 Rz. 38 (IPRspr 2013-233)). Danach ist auch für den Eingriff in die inländischen urheberrechtlichen Verwertungsrechte eine Erheblichkeitsschwelle im Sinne einer nicht nur unwesentlichen Spürbarkeit erforderlich (vgl. auch MünchKomm-Drexl aaO Rz. 282 ff., 294, 299; krit. zur Spürbarkeit Nordemann-Schiffel in Fromm/Nordemann, UrhR, 11. Aufl., Vor §§ 120 ff. Rz. 77).
[6]b) Diese Rspr. steht auch in Einklang mit dem Unionsrecht. Da § 19a UrhG, dessen Verletzung die Kl. geltend macht, Art. 3 I der Urheberrechts-Richtlinie 2001/29/ EG umsetzt und die Richtlinie das Recht der öffentlichen Wiedergabe vollständig harmonisiert (vgl. nur BGH, GRUR 2016, 171 Rz. 17), ist auch die Frage, ob eine an einem bestimmten Ort vorgenommene Handlung in den räumlichen Anwendungsbereich fällt, letztlich eine Frage des Unionsrechts ...
[7]c) Für die Frage, ob von im Ausland ansässigen Nutzern in das Netz gestellte und (über ausländische Server) im Inland abrufbare urheberrechtlich geschützte Inhalte ein öffentliches Zugänglichmachen im Sinne des § 19a UrhG darstellt, ist damit maßgeblich, ob die Nutzer mit den streitgegenständlichen Blogs Rezipienten im Inland gezielt ansprechen wollten (vgl. Schricker-Loewenheim-Katzenberger aaO Rz. 145; Dreier in Dreier/Schulze, UrhG, 5. Aufl., Vor § 120 Rz. 42; Kotthoff aaO Rz. 16; 22; Wandtke-Bullinger-v. Welser, UrhR, 4. Aufl., Vor §§ 120 ff. Rz. 19) und sich die Nutzung nach ihrem objektiven Gehalt im Inland in wirtschaftlicher Weise nicht nur unwesentlich auswirkt.
[8](1) Bei dieser Prüfung sind alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, darunter die Sprache, der Inhalt und die Aufmachung des Angebots, die Adresse und die Toplevel-Domain, die Natur der angebotenen Inhalte, etwaige auf das Inland ausgerichtete Liefer- und Zahlungsmethoden, Werbeinhalte, die auf das Inland abzielen, die Existenz einer nicht nur unerheblichen Zahl von im Inland ansässigen Nutzer, die das Angebot nutzen, oder etwa die Bekanntheit des Angebots im Inland. Gerade bei kommerziellen Angeboten, die die urheberrechtlichen Befugnisse in besonderer Weise beeinträchtigen können, wird sich anhand dieser Indizien in der Regel verlässlich feststellen lassen, ob ein ausreichender Inlandsbezug gegeben ist. Schwieriger gestaltet sich diese Feststellung bei nicht-kommerziellen Angeboten wie den vorliegenden, bei denen sich zum Teil weder aus den Inhalten (weil diese, insbes. Bilder, universell sind) noch aus der Sprache des Angebots (weil sie keine relevanten Sprachanteile enthalten) Anhaltspunkte für einen spezifischen Inlandsbezug entnehmen lassen und sich die Anbieter dieser Inhalte möglicherweise überhaupt keine Gedanken über die räumliche Zielgruppe ihres Blogs machen und eine weltweite Rezeption (bloß) in Kauf nehmen. In diesen Fällen ist, wenn sich der Berechtigte auf seine inländischen Verwertungsrechte beruft, die nach dem urheberrechtlichen Beteiligungsgrundsatz dessen wirtschaftliche Interessen schützen, maßgeblich, ob die Abrufbarkeit im Inland nicht nur unerhebliche und theoretische wirtschaftliche Auswirkungen für den Schutzrechtsinhaber hat ...
[9](2) Nicht entscheidend kommt es vorliegend darauf an, ob die Bekl., die als Störerin in Anspruch genommen wird, selbst ihren Dienst auf das Inland ausrichtet (vgl. [ähnliche Fallgestaltung] MünchKomm-Drexl aaO Rz. 292). Eine Haftung als Störer setzt die Existenz eines rechtswidrigen Eingriffs in inländische Rechtspositionen und einen adäquat-kausalen Beitrag des Störers zu diesem voraus. Insofern ist für die Annahme einer Störerhaftung die Frage vorgreiflich, ob der eigentliche Täter eine Rechtsverletzung im Inland begangen hat. Unmittelbar Handelnde sind im vorliegenden Fall die Nutzer des Diensts ‚b.com’, die mit diesem Dienst eine eigene Internetseite erstellen und Inhalte zum Abruf zur Verfügung stellen. Die Bekl. leistet insofern nur technisch-administrative Dienstleistungen und tritt mit Ausnahme der URL bei den konkreten Blogs inhaltlich nicht in Erscheinung ...
[10](3) ... d) Nach diesen Maßstäben ist im vorliegenden Fall eine Verletzung des deutschen Urheberrechts nicht gegeben.
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